Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
neue Städte gegründet, Altäre errichtet, und all das geschieht angeblich nur zur Ehre Gottes.
Schon zwei Jahrhunderte nach dem Auszug aus Ägypten ist es in Israel zum Bündnis zwischen Thron und Altar gekommen, und sogar zu deren Verschmelzung in der Person des Königs Salomo. Alles, was diesem Bündnis vorausging, zählt jetzt nicht mehr. Die großen revolutionär-fortschrittlichen Ideen des Anfangs werden nur noch verbal hochgehalten, im Kult beschworen, zu religiösen Riten verharmlost, als Brauchtum gepflegt. Die gesellschaftliche Sprengkraft ist weg, die Bombe wurde entschärft. Außerhalb des Tempels geht nun alles seinen weltlichen Gang. Der Wille von Volk und König wird zum «Gott will es» umgelogen.
Ein Jahrtausend später dauert es kaum länger, bis es zum christlichen Bündnis von Thron und Altar kommt. Und abermals verrät dieses Bündnis alles, was ihm vorausgegangen war. Auch die Botschaft des Jesus wird entschärft, relativiert, mystifiziert, in Dogmen gesperrt, zu Sakramenten vergeistigt, und das von Jesus geforderte weltverändernde Handeln durch symbolisches Handeln ersetzt.
Hätte es auch anders gehen können? Wer die Frage bejaht, muss sagen, wie es denn hätte anders gehen können. Die zwölf Stämme in den Bergen hätten solidarischer sein können, gewiss. Wenn einer von ihnen angegriffen wurde, hätten alle elf anderen dem bedrohten Stamm zu Hilfe eilen müssen. Aber hätte das genügt, um das Berufsheer der mächtigen Philister auf Dauer abzuwehren? Haben Laien eine Chance gegen die Profis?
Vielleicht hätte ein einiges, genau auf seinen Gott hörendes Volk den Philistern trotzen können. Vielleicht aber auch nicht. Niemand vermag das heute zu sagen. Vielleicht wären die zwölf Stämme ohne David und dessen geschickte Machtpolitik irgendwann von den stärkeren Völkern ausradiert worden, und wir wüssten heute nichts von Mose und den ägyptischen Flüchtlingen. Vielleicht benötigte Gott die Machtpolitiker David und Salomo und deren Staatskirche, um dauerhafte Strukturen zu schaffen, in denen die Geschichte von den ägyptischen Sklaven durch die Jahrhunderte bewahrt werden konnte. Vielleicht musste die Geschichte so verlaufen, damit spätere Generationen daraus lernen.
Vielleicht ist es aber auch einfach nur so, dass am Realitätsprinzip der stärkste Glaube zerschellt. Friedliche Ackerbauern und Viehzüchter haben nun einmal keine Chance gegen gut ausgebildete, erfahrene und bestens ausgerüstete Soldaten. Wer gegen Profis bestehen will, muss sich selber professionalisieren.
Wer anders als ein König hätte solch eine Professionalisierung organisieren und bezahlen können? Es ist schwer, vielleicht unmöglich, darauf eine Antwort zu geben.
Man muss, um gerecht zu sein, auch sagen: Erst jetzt, unter David und Salomo, gehört dem Volk das verheißene Land Kanaan. Jetzt kann es sich in den fruchtbaren Ebenen niederlassen. Und nach dem stets prekären Chaos-Leben im Zwölfstämmebund in den Bergen genießt das Volk nun das sichere Leben in einem geordneten Land, in dem es tatsächlich Milch und Honig gibt. Nicht im Überfluss und nicht für alle, aber doch mehr als früher in den Bergen. Und: Dieser Staat kann es sich nun leisten, ein paar Menschen zu bezahlen, die nichts anderes tun, als die bisherige Geschichte zu erforschen, die im Volk zirkulierenden Erzählungen zu sammeln, zu sichten und aufzuschreiben. Unter David und Salomo beginnt die israelische Literatur, und beide Könige tragen durch eigene Werke – Psalmen, Sprüche, Weisheitsschriften – dazu bei.
Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf: Trotz des Königtums und der Angleichung Israels an die heidnischen Völker gibt es noch einen unterscheidenden Rest, der darauf hinweist, dass die Tradition der ägyptischen Flüchtlinge offenbar nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist. Auch im größten Verrat, gerade im größten Verrat, macht sich diese Tradition als Stachel im Fleisch bemerkbar, wirkt widerständig schmerzend, die Kreise der Verräter störend, entlarvend, korrigierend und manchmal sogar das Blatt wendend auf den Gang der Dinge ein.
Die Tradition des Lagerfeuers hat Maßstäbe gesetzt, die auch in der Königszeit und danach von allen offiziell anerkannt werden. Wer dagegen verstoßen will, muss es heimlich tun, unter heuchlerischer Akzeptanz der nach wie vor gültigen Gesetze oder durch geschickt verlogene Interpretationen, die das eigene Fehlverhalten mit den herrschenden Normen in Einklang bringen. Aber
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