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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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im Gelobten Land, aber von Milch und Honig keine Spur. Die fruchtbaren Ebenen Kanaans waren Israel verschlossen. Da hielten die diversen Stadtkönige ihren Daumen drauf. Das Land oben in den Bergen war karg. Es reichte zum Überleben. Ein Leben in Fülle war es nicht. Und man war nicht sicher. Immer wieder musste man sich fremder Angreifer erwehren, die einem das Wenige abnehmen wollten, das man sich hart erarbeitet hatte.
    Da kann man gut verstehen, dass einigen Zweifel kamen an der noch jungen und kleinen Erzählung von einem Volk und seinem Gott. Wenn die Geschichte stimmt, werden einige gedacht haben, warum rettet Gott uns dann nicht aus der Hand unserer Feinde, so, wie er uns damals vor den Ägyptern gerettet hat? Und warum gibt er uns nur diese kargen Berge statt der fruchtbaren Ebenen?
    Die Versuchung, an diesem Gott zu zweifeln und sein Glück doch mit den Göttern der anderen zu probieren, ist groß. Darunter leidet der Zusammenhalt. Die einen glauben weiter, die anderen zweifeln, einige wenden sich ganz ab. Und wenn dann ein Stamm angegriffen wird, und er ruft die anderen zur Hilfe, denken diese: Schon wieder? Wo ist unser Gott? Und dann bleibt man daheim. Die Solidarität der Stämme ließ stark zu wünschen übrig, wobei sich kaum sagen lässt, was Ursache und was Folge ist. Kommt die mangelnde Solidarität vom mangelnden Glauben, oder dieser von der ausbleibenden Solidarität? Vermutlich ist es ein sich selbst verstärkender Regelkreis.
    Bei Angriffen wählten die kämpfenden Stämme Heerbannführer, und diese hießen Richter, weshalb jene zweihundert Jahre, während denen Israel sein revolutionäres Experiment riskierte, als die Richterzeit bezeichnet werden. Das Buch der Richter, das davon erzählt, kennt keine Aktion, bei der sich alle Stämme beteiligt hätten.
    Bei einem Kampf gegen kanaanäische Könige, an dem nur sechs Stämme teilnahmen, berichtet das Richterbuch (Kapitel 5, 13–18) anklagend: Während die Stämme Efraim, Benjamin, Sebulon, Manasse, Issachar und Naftali kämpften, hielt man im Stamme Ruben gewichtige Beratungen ab, blieb zwischen den Hürden sitzen und hörte dem Blöken seiner Schafe zu. Gilead blieb jenseits des Jordans, Dan auf fremden Schiffen, und Ascher saß still am Ufer des Meeres. Sie folgten ihren eigenen Interessen. Jeder ging seiner Wege. Schlimmer noch: Sie beteten die Baale an, die Götter der Heiden, und gingen Mischehen ein. Deshalb, so die spätere Deutung, ist Israel immer wieder von seinen Feinden überfallen und oft geschlagen worden. Gott hatte sich abgewandt.
    Die Stämme selbst haben das zu jener Zeit vermutlich anders gesehen. Vor allem als sie den militärischen Druck des neuen Volkes der Philister zu spüren bekamen, denen sie technisch, materiell, aber auch organisatorisch unterlegen waren, dachten sie: Wir brauchen staatliche Strukturen, wir müssen uns professionalisieren und uns so ähnlich organisieren wie die anderen Völker, um uns der Philister zu erwehren. Deshalb wollten sie einen König.
    Vermutlich hat es unter den zwölf Stämmen in der Königsfrage Auseinandersetzungen gegeben wie zwischen Realos und Fundis. Die Fundis erkannten sofort, was ein König bedeutet: das Ende der egalitären Gesellschaft und Verrat am Willen Gottes. Er sollte doch der König Israels sein.
    Die Realos wandten ein: Wenn wir uns nicht bald etwas gegen die Philister einfallen lassen, wird es uns demnächst nicht mehr geben. Dann wird Gott gar kein Volk mehr haben. Die Alternative lautet nicht: ein Volk mit einem Gottkönig oder ein Volk mit einem Menschenkönig, sondern Gott ohne Volk oder Gott mit einem Volk, das einen Menschenkönig hat. Die Realos haben sich durchgesetzt.
    Es ist interessant zu lesen, wie das Volk dann seinen König bekam. Der Richter Samuel, der dem Volk einen König verschaffen soll, bringt die Sache vor Gott, und dieser sagt : Gehorche der Stimme des Volks in allem, was sie zu dir gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, dass ich nicht soll König über sie sein. Sie tun dir, wie sie immer getan haben von dem Tage an, da ich sie aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag, und sie mich verlassen und andern Göttern gedient haben. So gehorche nun ihrer Stimme . (1 Samuel 8, 7–9)
    Gott hat seine heranwachsenden Kinder nicht mehr im Griff und lässt sie wie ein Vater widerwillig gewähren. Er scheint resigniert zu haben. Wenn man diese Stelle liest, fragt man sich, wie das Dogma vom allmächtigen Gott überhaupt entstehen

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