Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
14–15)
Der Viehzüchter Amos sieht die Korruption und die soziale Ungerechtigkeit im Land. Er sieht Menschen in tiefster Armut leben, während die Reichen sich auf elfenbeinverzierten Polsterbetten räkeln, das zarte Fleisch von Lämmern und Mastkälbern essen und den Wein kübelweise trinken (Amos 6, 3–6). Er spricht auch aus, dass dieser Reichtum nicht in jedem Fall ehrlich erworben wurde, sondern durch Betrug – Fälschung der Waage, Verringerung des Maßes, Beimischung von Spreu unter den Weizen – zustande gekommen ist.
Und Amos sagt, was der Gott Abrahams davon hält: Ich hasse, ich verachte eure Feste und mag eure Festversammlungen nicht riechen! Wenn ihr mir gleich euer Brandopfer und Speisopfer darbringt, so habe ich kein Wohlgefallen daran, und eure Dankopfer von Mastkälbern schaue ich gar nicht an. Tue nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder, und dein Harfenspiel mag ich gar nicht hören! Es soll aber das Recht daherfluten wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein unversiegbarer Strom! (Amos 5, 21–24)
Ähnlich liest man beim Propheten Hosea: Denn an Liebe habe ich Wohlgefallen und nicht am Opfer, an der Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern. (Hosea 6, 6) Und beim Propheten Joel: Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider und kehrt zurück zum Herrn, eurem Gott . (Joel 2, 13)
Recht und Gerechtigkeit will Gott, sagen die Propheten, nicht das fruchtlose Gedöns der Heuchler und Frömmler. Auf Inhalte kommt es Gott an, nicht auf leere Formen und Formeln. Fromme Gebete, schöne Feste, ergreifende Riten, feierliche Opfer, eindrucksvolle Inszenierungen, bunte Gewänder – das alles ist nichts wert, wenn ihm keine Realität entspricht. Die Tatsache, dass es Arme gibt im Land, Schuldsklaven und Unterdrückte, macht den ganzen Kult zur Farce. Gott wird daher diesem Treiben nicht endlos zuschauen. Wenn das Volk nicht umkehrt, wenn seine Führung sich nicht auf seine egalitäre Exodustradition besinnt, wird Gott handeln und Israel seinen Feinden ausliefern.
Kaum zwei Jahrzehnte später, 733 vor Christus, kommen die Assyrer und erobern einen Großteil Israels, im Jahr 722 den Rest. Die Oberschicht wird nach Mesopotamien deportiert, vollständig unterworfen und ins assyrische Großreich eingegliedert. Gleichzeitig bemächtigt sich eine assyrische Oberschicht des ehemaligen Landes Israel, bricht die Widerstandskraft der dort Verbliebenen und fördert deren Vermischung mit anderen Völkern. Israel verschwindet aus der Geschichte. Übrig bleibt Juda, das im Spiel der Großmächte geschickter taktiert und daher vom Schicksal Israels – zunächst – verschont wird.
Israel hat seinen eigenen Untergang herbeigeführt, urteilen spätere Propheten. Das gleiche Schicksal wird Juda blühen, wenn es nicht umkehrt, wenn es sich nicht auf seine Exodustradition besinnt. Gott, der sein Volk aus der Sklaverei geführt hat, kann es auch wieder in die Sklaverei zurückbringen.
Amos ist der erste «Schriftprophet» Israels. Er selbst oder seine Anhänger haben seine Worte aufgeschrieben. Seine Art von prophetischer Kritik hört in Juda nun nicht mehr auf – bis sich die Unheilsprophezeiungen erfüllen und auch Juda von der Landkarte verschwindet.
Aber was bis zum heutigen Tag bleiben wird, ist die Sozial- und Gesellschaftskritik. Und auch das freie Wort, das schonungslose Aussprechen von Wahrheit, ohne Rücksicht auf mächtige Interessen, ist jetzt in der Welt. Natürlich ist es immer von Zensur bedroht. Immerzu wird versucht, das freie Wort zu unterdrücken, seine Urheber zu verfolgen, wegzusperren, umzubringen, und es gelingt auch immer wieder, aber stets nur für eine gewisse Zeit. Danach kehrt es wieder zurück und verschafft sich neues Gehör. Man kann noch immer die Kämpfer der Freiheit umbringen, aber nicht mehr die Freiheit selbst. Man kann die Kritiker umbringen und die Verkünder der Wahrheit, aber Kritik und Wahrheit lassen sich nicht mehr aus der Welt schaffen.
IM BABYLONISCHEN EXIL: DAS ENDGÜLTIGE BEKENNTNIS ZUM MONOTHEISMUS
Um das Jahr 600 vor Christus ändern sich die politischen Machtverhältnisse im judäischen Umfeld. Die Assyrer steigen ab, Ägypten zerfällt, Babylon mit seinem König Nebukadnezar steigt auf. Er wird Juda ausradieren. Und wird eben damit zur Initialzündung für die Entstehung der jüdischen Weltreligion.
Im Jahr 597 überfällt der König von Babylon raubend und plündernd das Land, nimmt Jerusalem ein, deportiert den König, den Adel, die Priester, Handwerker und die
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