Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)
Geburtstag, schenkt ihm Sara den lang ersehnten Sohn, Isaak. Nun könnte endlich alles gut werden, denkt man, Sara könnte glücklich sein, Hagar könnte sich für Sara freuen, dass sie nun auch einen Sohn hat, und Abraham könnte sich freuen, dass er zwei Söhne hat.
Aber so geht es gewöhnlich nicht zu unter Menschen, auch nicht bei jenen von Gott höchstselbst Auserwählten, aus denen er sein Volk gewinnen will. Sara und Hagar rivalisieren, seit Hagar von Abraham geschwängert wurde. Zwar war es Saras eigene Idee, ihrem Mann die Magd zuzuführen, damit wenigstens sie gebäre, aber als sie dann tatsächlich schwanger war, fühlte sich Hagar Sara überlegen, begegnete ihr mit einem gewissen Stolz und Hochmut, und Sara beschwerte sich über sie bei Abraham. Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tue mit ihr, wie dir‘s gefällt. Da sie nun Sarai wollte demütigen, floh sie von ihr. (1 Mose 16, 6)
Erst auf Geheiß eines Engels kehrt Hagar aus der Wüste zu Sara in Abrahams Haus zurück, aber die Spannungen zwischen den beiden Frauen bleiben bestehen und verstärken sich vermutlich noch, als Isaak zur Welt kommt. Jetzt, da Sara geboren hat, will sie Hagar und deren Sohn loswerden und verlangt von Abraham, Hagar und Ismael, seinen erstgeborenen Sohn, vom Hof zu jagen.
Und was tut Abraham, Gottes Auserwählter? Bringt er Sara zur Vernunft? Sagt er ihr, sie solle sich zusammenreißen und anständig verhalten gegenüber der Mutter seines ersten Sohnes? Saras Ansinnen gefällt ihm nicht, aber er gibt nach, schickt Hagar und Ismael in die Wüste, völlig im Klaren darüber, dass Mutter und Sohn dort umkommen werden. Und hat ein gutes Gewissen, da sich auch sein Gott einverstanden erklärte.
Da zog sie hin und ging in der Wüste irre bei Beer-Seba. Da nun das Wasser in dem Schlauch aus war, warf sie den Knaben unter einen Strauch und ging hin und setzte sich gegenüber von fern, einen Bogenschuss weit; denn sie sprach: Ich kann nicht ansehen des Knaben Sterben. Und sie setzte sich gegenüber und hob ihre Stimme auf und weinte. (1 Mose 21, 14–16) Gott selbst muss nun rettend eingreifen und die beiden vor dem Verdursten in der Wüste bewahren. Er schickt einen Engel, der Hagar an einen Brunnen führt und ihr abermals verheißt, Ismael zu beschützen und ein großes Volk aus ihm zu machen. Und das geschieht auch: Gott war mit dem Knaben; der wuchs und wohnte in der Wüste und ward ein guter Schütze. Und er wohnte in der Wüste Pharan, und seine Mutter nahm ihm ein Weib aus Ägyptenland. (1 Mose 21, 20–21)
Das ist auch wieder seltsam. Hagar als eine Art Leihmutter für Abraham einzusetzen, war Sarahs Idee, aber nun übernimmt Gott die Sorge und die Verantwortung für Hagar und Ismael. Wir erfahren nicht, warum, aber Ismael wird zum Stammvater der Muslime. Die Araber leiten ihre Herkunft von Ismael ab, der wie der biblische Jakob zum Vater von zwölf Stämmen wird. 7
Laut Koran gründete Ismael mit Abraham zusammen das Heiligtum der Kaaba in Mekka, empfing Offenbarungen und gebot seinem Volk als ein Gesandter und Prophet Gottes das Gebet (Salat) und die Almosengabe (Zakat). 8 Der Wüstensohn Ismael kehrt noch einmal in seine alte Familie zurück, als Abraham stirbt. Gemeinsam mit Isaak begräbt er ihn. Danach spielt er in der Bibel keine Rolle mehr und bleibt ein rätselhafter Sohn Abrahams.
Aber dieses Rätsel verblasst gegenüber jener berühmt-berüchtigten Geschichte, die dann folgt. Gott verlangt von Abraham: Opfere deinen Sohn, den einzigen, den, den du liebst, den Isaak. Abraham gehorcht. Erst im letzten Moment, als Abraham schon das Messer erhoben hat, gebietet ihm ein Engel, Isaak am Leben zu lassen und an seiner Stelle einen Widder zu opfern, der sich im Gestrüpp verfangen hat.
Vor allem diese gemeinhin als Glaubensprobe geschilderte Geschichte ist es, die uns Menschen des 21. Jahrhunderts die sowieso schon fremde Figur des Abraham noch fremder werden lässt. Abrahams Gehorsam mutet uns als Kadavergehorsam an. Gottes ungeheuerliches Ansinnen erscheint uns als das Ansinnen eines grausamen Gottes, mit dem wir nichts zu tun haben wollen, auch wenn er am Ende auf die tatsächliche Einforderung des Opfers verzichtet. Für uns bleibt der Eindruck haften: Abraham hätte, wenn Gott nicht in letzter Sekunde dazwischengegangen wäre, seinen eigenen Sohn geschlachtet.
Damit erscheint uns Abraham nicht als Vater, sondern als Monster oder, wie der Philosoph und Publizist
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