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Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition)

Titel: Das Christentum: Was man wirklich wissen muss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Nürnberger
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dann kommt ein anderer und zerstört das Imperium, weil er sein eigenes aufbauen will, das ebenfalls wieder vernichtet wird. Die Böden aller Länder sind getränkt mit dem Blut der zu allen Zeiten in allen Kriegen geschlachteten Soldaten. Was hat das für einen Sinn? Warum hört dieses Morden und Rauben und Brandschatzen niemals auf?
    Liegt es in der Natur des Menschen? Ist diese Natur unveränderlich? Oder ist das alles vielleicht systembedingt? Ist die menschliche Zivilisation falsch konstruiert, falsch programmiert? Wie müsste man das System umbauen und umprogrammieren, damit es besser funktioniert? Ist es überhaupt veränderbar, oder muss man es erst zerstören, um es danach völlig neu zu errichten?
    Das sind teilweise sehr modern anmutende Fragen, die Abraham gewiss nicht so gestellt haben kann, da ihm zum Teil das zugehörige Vokabular gar nicht zur Verfügung gestanden hat. Die Bibel erwähnt auch nichts davon. Aber Abraham wird in der Bibel eingeführt, nachdem eine lange Verfallsgeschichte erzählt worden ist, in deren Mittelpunkt die Gewalt unter den Menschen steht und die Frage, warum das Leben der Menschen immer wieder misslingt. Diese Geschichte beginnt nach der Vertreibung aus dem Paradies mit dem ersten Brudermord und endet mit der Hybris des Menschen beim Turmbau zu Babel.
    Daher müssen wir uns Abraham als einen Mann vorstellen, der sich unsere modern anmutenden Fragen sinngemäß mit seinen eigenen Worten vor seinem speziellen historischen Hintergrund gestellt und dabei etwas Allgemeines entdeckt hat, das auch heute noch gilt. Abraham war «der erste Systemkritiker» der Weltgeschichte, wie der Theologe Arnold Stötzel sagt. Aus Abraham soll ein Volk werden, das, gespeist aus der Energie des Glaubens, kraftvoll gegen den der menschlichen Natur innewohnenden Trend zur Barbarei lebt und die anderen Völker lehrt, wie man leben muss, damit das Leben aller dauerhaft gelingt. Das ist der Traum des Gottes von Abraham, Isaak und Jakob, eine göttliche Utopie, die in jenem Abraham fruchtbar wird, der nicht einverstanden ist mit dem System, in dem er zu leben gezwungen ist. Er kritisiert die bestehenden Verhältnisse, sucht nach Antworten auf seine Fragen, und es ist ihm ernst mit dieser Suche.
    Wie ernst, das drückt sich in dem radikalen Entschluss aus, seine Heimat zu verlassen, um jahrzehntelang scheinbar orientierungslos in der Fremde umherzuirren. Er suchte nach dem Systemfehler, und als er ihn gefunden hatte, wurde ihm klar, dass er ihn nicht korrigieren konnte.
    Wieder modern gesprochen: Abraham bemüht sich erst gar nicht, die Verhältnisse zumindest in seiner unmittelbaren Umgebung wenigstens ein bisschen zu verbessern. Er glaubt wahrscheinlich, dass diese Verbesserungen nicht von Dauer sein werden, solange es drum herum nicht zum Besten steht. Denn wenn es im Großen und Ganzen nicht stimmt, kann es auch im Kleinen und Bruchstückhaften nicht stimmen. Im Falschen kann es nichts Richtiges geben.
    Man müsste also die Welt von oben und unten gleichzeitig verändern. Das kann ein Einzelner nicht schaffen. Abraham bemüht sich daher nicht um politische Einflussnahme in seiner Heimatstadt Haran, sucht nicht nach oppositionellen Gleichgesinnten, um sich mit diesen zu solidarisieren, zu organisieren, sich als Gegenmacht aufzubauen und von Haran aus das ganze Land aufzurollen. Abraham glaubt nicht an eine Reformierbarkeit des Systems. Ebenso schließt er die Möglichkeit eines gewaltsamen Umsturzes für sich aus. Resignation allerdings auch. Sich mit dem Unvollkommenen abfinden kommt für ihn nicht in Frage.
    Was aber bleibt als Lösung übrig, wenn sowohl Reform wie Gewalt, wie auch Resignation ausscheiden? Für Abraham nur noch eines: Exodus . Heraus aus allen Bezügen. Abbruch aller Brücken zum alten System. Vorwärts in eine neue, unbekannte Welt. Abraham war ein Rebell, und die Form seiner Rebellion war der Exodus. Daraus wird sich später der christliche Begriff der Umkehr entwickeln.
    Rebellion gegen die Welt war mit den zu Abrahams Zeiten zur Verfügung stehenden Denkmitteln Rebellion gegen die Götter. Wenn die Geschichte des Menschen eine endlose Folge von Verhängnissen und Katastrophen ist, dann müssen es die falschen Götter sein, zu denen die Menschen beten, dachte Abraham, dann helfen diese Götter nicht, dann lieben diese Götter die Menschen nicht. Also muss es einen anderen, richtigen, einen wahren Gott geben, und um den zu finden, machte sich Abraham auf die Suche.
    Die Suche nach

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