Das Dach kommt spaeter
und sich mehrere komplizierte Brüche zugezogen hatte. Wahrscheinlich gab es sogar Menschen, die über Blumenstängel stolperten und sich das Genick brachen. Oder sich mit dem Gartenschlauch erwürgten. Ganz zu schweigen von den Spezialisten, die bei der Gartenarbeit regelmäßig in die Zinken der auf den Boden gelegten Harke traten. Schwiegermama empfand meinen Wunsch, Mieter zu bleiben, dennoch als Angriff auf sich und das Fundament der schwäbischen Wertewelt.
»Muratle, des isch doch kein Leben net. Wenn du immer nur in einer Mietwohnung hauscht, denn stirbscht am End no
zur Miete.
«
»Zur Miete sterben« – ein Ausdruck, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Für einen Schwaben ist das in etwa so, als würde man seinen hart verdienten Lebensabend nackt auf einer Parkbank verbringen.
»Na, und weischt, Muratle, statt dem Vermieter dein Leben lang Geld zu schenke, kannsch du nach dem Baue des Geld auf die hohe Kante lege, denk halt mal drüber nach.«
Darüber hatte ich schon mehrfach nachgedacht und platzierte daher einen, wie ich fand, gekonnten Return. »Zugegeben, Gisela, Immobilien sind die klassische Geldanlage. Aber hört man nicht immer wieder von Leuten, die ihr gesamtes Vermögen bis auf Cent und Euro in der Baugrube versenkt haben? Und ist es wirklich erstrebenswert, zum Sklaven einer Bank zu werden? Immer unflexibel sein, jeden Cent fünfmal umdrehen …«
»Gut, des isch halt so, aber des gilt höchstens zwanzig bis dreißig Jahr. Ihr seid noch junge Leut, da kann mer ruhig a paar Momentle die Zähn zusammebeiße«, lautete die Replik meines Schwiegervaters Frank, der normalerweise immer darauf aus war, in Gefahr geratende Harmonie sofort wiederherzustellen. Sein ausgleichendes Wesen vertrug einfach keine Misstöne. Dass er hier die Geduld verlor, zeigte, wie sehr ihm meine ketzerischen Bemerkungen gegen den Strich gingen. Zwanzig, dreißig Jahre als Knecht einer Baufinanzierung zu leben empfand seine schwäbische Seele als »Momentle«. Schwaben haben offensichtlich optimistische Vorstellungen von ihrer irdischen Verweilzeit.
Mich hingegen versetzte diese Aussicht in Panik. »Das meine ich doch gerade! Mein Motorrad, der Jahresurlaub, jede kleine Anschaffung, alles, was das Leben lebenswert macht, wird plötzlich schwierig. So ein Bau, der frisst dir in guten wie in schlechten Zeiten die Haare vom Kopf.«
Ich stutzte und hoffte, dass mein Schwiegerpapa diese Bemerkung mit Blick auf sein lichtes Haupthaar nicht persönlich nahm. Da wusste ich noch nicht, dass ich ein Jahr später viel weniger Haare auf dem Kopf haben sollte als er.
Wie sich an diesem Punkt der Diskussion herausstellte, war meine Frau leider ebenfalls vom schwäbischen Hausvirus infiziert. Sie verließ die neutrale Ecke, in der sie bislang verharrt hatte, und holte zum verbalen Rundumschlag aus.»Murat, woher stammen bloß deine pubertären Vorstellungen von Freiheit und Abenteuer? Von deinen Eltern sicher nicht, die haben ihr Leben lang Verantwortung übernommen. Solltest nicht auch du dafür langsam alt genug sein? Und deine sozialromantische Abneigung gegen Banken ist einfach nur kindisch. Jeder Mensch, der was leistet, will Geld verdienen. Die paar Prozent Zinsen an die Bank, die tun nun wirklich niemand weh.«
Ann-Maries Eltern begleiteten diese Grundsatzrede mit stolzem Nicken, als wollten sie sagen: »Ist unsere Tochter nicht prachtvoll geraten? Blut von unserem Blut, Holz aus unserem Stamm.« Ich dagegen empfand ihre Einlassung als klaren Fall von Hochverrat. Wozu heiratet man eigentlich einen Menschen, wenn er einem in entscheidenden Momenten nicht den Rücken stärkt, sondern sich auf die feindliche Seite schlägt? Gut, Ann-Marie war sicher nur bedingt schuldfähig. Gegen seine Gene kann man schlecht an. Dennoch war ich tief enttäuscht und keinesfalls bereit, mich geschlagen zu geben.
»Ihr seid unfair und wollt mich unbedingt falsch verstehen. Eben WEIL ich verantwortungsbewusst bin, will ich keine unkalkulierbaren Risiken eingehen. Was ist denn, wenn ich mal länger krank werde und als selbständiger Künstler nichts verdiene? Oder wenn die Zinsen steigen? Dann sagt die Bank: ›Hasta la vista, Familie Topal. Es war schön mit Ihnen, aber wenn Sie Ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können, zwangsversteigern wir Ihr Häuschen lieber. Das ist lukrativer!‹ Dann stehen wir vor dem Nichts! Als Mieter ist das Leben viel unkomplizierter. Wenn der Vermieter die Miete erhöht, wechsle ich einfach die
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