Das Dach kommt spaeter
Wohnung.«
Den letzten Satz wollte ich in letzter Sekunde noch runterschlucken, aber da war er dummerweise schon draußen.Ein krasser taktischer Fehler, der der Schwabensippe wie gerufen kam.
»Des mit der Miete, des isch ebä grad der Punkt! Damit hascht nix mehr zu tun, wenn du erscht mal a Häusle hascht!«, posaunte Schwiegermama unter Beifallsbekundungen ihrer Mitstreiter.
»Muratle, des isch auch eine Frage von Ehre und Stolz, dass mer sei schönes Leben lang net in was leben tut, das einem gar net gehört«, ergänzte Frank. »Die Hos, zum Beispiel, die wo du grad anhascht, die magscht du auch net von nem andere Kerl leihe. So was wird eimal im Leben angschafft und fertig, verstehscht?«
Ich kannte zwar niemanden, der sich in seinem Leben nur eine Hose kaufte, sparte mir diesen nutzlosen Konter jedoch lieber. Meine resolute Schwiegermutter setzte zum finalen Dolchstoß an.
»Irgendwo leben muscht eh, Murat, des isch halt so. Und da muscht Prioritäte setze: A Häusle isch dei Sicherheit. Und des von der Ann-Marie und von de Kinder auch, wenn se erscht eimal groß genug sind, werde sie dir’s danke.«
Mein Widerstand erlahmte. Was hatte es für einen Zweck, allein gegen eine feindliche Übermacht zu kämpfen? Vor allem, wenn der Feind Teil der eigenen Verwandtschaft war? Ich schwenkte innerlich die weiße Fahne. Es galt allerdings, den Schaden zu begrenzen und das Gesicht als Familienoberhaupt zu wahren. Darum griff ich zum in vielen Schlachten bewährten Mittel des Teilrückzugs und Zeitgewinns.
»Also gut, vielleicht habt ihr in einigen Punkten ja recht. Ich denke drüber nach. Aber bauen ist auf jeden Fall zu aufwendig. Wenn, dann
kaufen
wir ein Haus«, bremste ich die gegnerische Attacke fürs Erste aus.
Mein einlenkendes »Also gut« erwies sich als eine jenerunbedachten Äußerungen, die einen Menschen ohne Umwege vom Paradies direktemang in die Hölle katapultieren. Daher hat sich dieser Abend tief in mein Gedächtnis eingegraben – sofern Abende überhaupt graben können. Manche Bauarbeiter beherrschen diese Kunst jedenfalls nicht. Aber ich will nicht vorgreifen.
In der Nacht nach diesem schicksalhaften Abendessen erwachte ich von Alpträumen geplagt und schweißgebadet. Ich hatte das Gefühl, ein hoffnungsloser Versager zu sein. Ein wahrer Jahrtausendtrottel. Auf mir lag, leise schnarchend, mein kleiner Sohn. Nachts in unser Schlafzimmer zu schleichen und sich auf meinen Bauch zu legen war ein neues Hobby von ihm. Kein Wunder, dass ich Alpdrücken hatte. Doch es war nicht nur sein Gewicht, das mich bedrückte. In meinem Gefühlshaushalt schien sich irgendein Schalter umgelegt zu haben. Bis zu diesem Moment war ich, zumindest was das Wohnen betrifft, ein zufriedener Mensch gewesen. Mein ganzes Leben hatte ich als Mieter verbracht. Nie hatte ich dabei das Gefühl gehabt, etwas zu versäumen. Ganz im Gegenteil: Als Kind liebte ich es, in den Hinterhöfen Neuköllner Mietskasernen herumzutoben und abends in unsere für fünf Personen zwar etwas enge, aber für mich urgemütliche Wohnung in der Sanderstraße heimzukehren. Häuschen im Grünen kamen in meinen Zukunftsträumen, die sich um Freiheit, Abenteuer und Superhelden drehten, einfach nicht vor. Erst mit Beginn meiner Polizeiarbeit änderte sich das insofern, als sich im Kollegenkreis zahlreiche Gespräche um den Hausbau drehten und man dem Thema kaum ausweichen konnte. Wenn sich einer aus unserer Truppe den Traum vom Eigenheim erfüllte, schien ich jedoch fast der Einzige zu sein, bei dem sich keinerlei Neid regte. Mir war meine kleine sturmfreie Junggesellenbude Luxus genug.
In dieser Nacht wurde plötzlich alles anders. Ich verspürteden Drang, meine Existenz endlich in eine dem Universum wohlgefällige Richtung zu lenken – eine Empfindung, die junge Väter nach Aussage eines befreundeten Paartherapeuten häufig heimsucht. Bei mir richtete sich der Wunsch nach grundlegender Veränderung ausgerechnet auf die eigenen vier Wände. In meinem Inneren vollzog sich das, was einer meiner Polizeiausbilder in seinen langatmigen Vorträgen als Perspektivwechsel zu bezeichnen pflegte. Plötzlich erschien mir unsere Zweizimmerwohnung nicht mehr niedlich, romantisch und kuschelig, sondern winzig, deprimierend und einengend. Von einem Moment auf den anderen kam es mir vor, als wäre jedes Seufzen meines schlummernden Sohnes ein lautstarker Protest gegen seinen verantwortungslosen Rabenvater, der seinem eigenen Fleisch und Blut das im
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