Das Daemonenschiff
wie kraftvollen Ruderschlägen der
Männer angetrieben lief, und das Gefühl heraufziehenden
Unheils hatte in all der Zeit keinen Moment nachgelassen,
sondern sich im Gegenteil zu etwas verdichtet, das mehr
Gewissheit als Warnung zu sein schien.
Aber nichts war geschehen. Vielleicht war es ja tatsächlich so,
wie Thure es am Morgen über seine Schwester gesagt hatte:
Vielleicht entsprangen seine düsteren Vorahnungen nichts
anderem als seiner Angst um Urd … die er übrigens den ganzen
Tag über nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Wenn sie
tatsächlich als Navigator an Bord gekommen war, so schien sie
ihre Aufgabe auf eine andere Art zu erledigen, als Andrej es
jemals erlebt hatte, denn sie hatte ihr Zelt kein einziges Mal
verlassen. Und auch Abu Dun hatte sich den ganzen Tag über in
beleidigtes Schweigen gehüllt und die wenigen Versuche
Andrejs, mit ihm ins Gespräch zu kommen, entweder gar nicht
oder mit patzigen Bemerkungen beantwortet.
Als das monotone Grau des Tages allmählich wieder zum
ebenso gleichförmigen Schwarz der Nacht zu werden begann
(Andrejs trügerische Hoffnung, es könne in einer Umkehrung
der bösen Überraschung von heute Morgen nunmehr wärmer
werden, hatte sich nicht erfüllt), sah er endlich ein, dass vermutlich er es war, der sich kindisch benahm, und gab seinen
einsamen Ausguck unter dem starrenden Wolfsschädel am Bug
der Fenrir auf. Abu Dun hockte auf einer Ruderbank und
machte sich einen Spaß daraus, einen schweren Riemen, der
überall sonst von zwei Männern bedient wurde, mit nur einem
Arm zu handhaben (und das mit einer gelangweilten Miene) und
maß ihn mit einem spöttischen Blick, als er näher kam. Das
allein reichte, Andrej jegliche Lust auf eine Unterhaltung mit
dem Nubier zu nehmen. Abu Duns Grienen wurde nur noch
breiter, und Andrej spürte seinen belustigten Blick zwischen den
Schulterblättern, als er einfach mit steinernem Gesicht an ihm
vorbeimarschierte und auf das kleine Zelt im Heck des Schiffes
zusteuerte.
Urd saß mit dem Rücken zum Eingang, als er die Plane beiseiteschlug, und hatte sich über eine Anzahl kleiner, mit ebenso
kompliziert wie barbarisch anmutenden Runen beschrifteter
Steine gebeugt, die sie nach einem bestimmten Muster ausgelegt
zu haben schien. Sie sah nicht zu ihm zurück und hob nicht
einmal den Kopf, schien aber trotzdem ganz genau zu wissen,
dass er es war, denn sie sagte mit schnippischer Stimme: »Ich
habe mein Nähzeug gefunden, danke.«
Andrej schluckte die scharfe Entgegnung hinunter, die ihm
schon wieder auf der Zunge lag, zögerte einen Moment und
bückte sich dann tiefer, um das Zelt zu betreten. Urd runzelte
ärgerlich die Stirn, sagte aber nichts, und nachdem Andrej eine
geraume Weile vergebens gewartet hatte, dass sie das Wort
ergriff, sagte er: »Es tut mir leid.«
»Ach?«, machte Urd. Sie verschob einige der Runensteine,
und ihr Stirnrunzeln wurde tiefer.
»Ein schlechtes Omen?«, fragte Andrej.
»Nein«, antwortete Urd. »Ja.« Sie zuckte mit den Achseln.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht an diesen Unsinn.«
»Warum tust du es dann?«, fragte Andrej. Gleichzeitig fragte
er sich, was er hier eigentlich tat. Er war gewiss nicht gekommen, um mit Urd über Omen und Runensteine zu sprechen.
»Um mir die Zeit zu vertreiben«, antwortete Urd und sah ihn
nun doch an. Es war zu dunkel hier drinnen, um den Ausdruck
auf ihrem Gesicht deuten zu können, doch Andrej meinte zu
spüren, dass ihre Verärgerung nur aufgesetzt war. Auch wenn
ihn ihre nächsten Worte sofort wieder daran zweifeln ließen:
»Draußen gefällt mir die Gesellschaft nicht.«
»Ich sagte schon, es tut mir leid«, antwortete Andrej, eine Spur
schärfer, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Er hatte sich
ziemlich dumm benommen am Morgen, aber er würde es nicht
besser machen, wenn er den Fehdehandschuh, den sie ihm
vermutlich nur aus Trotz hinhielt, gehorsam aufnahm. »Ich habe
das nicht so gemeint.«
»Warum hast du es dann gesagt?«
»Vielleicht aus Sorge um dich«, antwortete Andrej ehrlich.
»Ich war … überrascht. Ich wusste nicht, dass du uns begleitest.«
»Und es gefällt dir nicht«, vermutete Urd.
»Nein«, erwiderte Andrej. »Das tut es nicht.«
»Weil ich eine Frau bin, und Frauen an Bord von Schiffen
nichts zu suchen haben? Sie sollen ja Unglück bringen, sagt
man.«
»Siehst du, und an diesem Unsinn glaube ich nicht«, antwortete Andrej betont. »Ich möchte nur nicht, dass dir etwas
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