Das Daemonenschiff
Fiasko enden.
»So nachdenklich, Hexenmeister?«
Andrej fuhr erschrocken zusammen, blickte einen Augenblick
lang verdattert in Urds Gesicht und fragte sich, wie lange sie
wohl schon neben ihm herging, ohne dass er es bemerkt hatte.
Und es dauerte noch eine geschlagene dritte Sekunde, bis er
überhaupt begriff, was sie gesagt hatte.
»Warum nennst du mich so?«, fragte er.
»Um dich zu ärgern?«, schlug sie vor. »Ich meine … so wie du
mich ansiehst, scheint es mir zu gelingen.«
Andrej wurde sich bewusst, dass er sie tatsächlich anstarrte,
und bemühte sich hastig um ein Lächeln, aber seine steif
gefrorenen Züge verzogen sich nur zu einer Grimasse.
»Abu Dun hat dich ein paar Mal so genannt«, sagte sie nach
einer Weile. »Ich habe es gehört.«
»Abu Dun redet zu viel.«
»Mehr als du, wenigstens in letzter Zeit und mit mir«, antwortete Urd. »He, was muss ich noch tun, um ein Gespräch mit dir
anzufangen?«
»Und worüber möchtest du reden?«, fragte Andrej.
»Das ist mir ziemlich gleich«, antwortete Urd. »Nur nicht über Swörbröder und Hinterhalte und Fallen. Dein Freund spricht
über nichts anderes mehr.«
»Und dein Bruder?«
»Ist sogar noch schweigsamer als du, auch wenn das schwer
zu glauben ist«, antwortete Urd. »Ich bin gespannt, wie lange
seine Geduld noch reicht.«
»Vielleicht ist er so still , weil er weiß, dass Abu Dun recht
hat«, sagte Andrej. Unwillkürlich sah er in die Richtung, aus der
sie gekommen waren. Hinter ihm ging nur noch eine Handvoll
Männer, aber in dem frisch gefallenen Schnee war die Spur der
Kolonne unübersehbar. Sie wurden nicht verfolgt, jedenfalls
nicht so offensichtlich, dass er irgendetwas gehört oder gespürt
hätte. Doch jemand, der ihnen folgen wollte, hätte es kaum nötig
gehabt, ihnen nahe zu kommen. Der Gedanke, dass sich ein so
großer Trupp wie der ihre unauffällig bewegen konnte, war
lächerlich. Und außerdem gab es nur eine Richtung, in die sie
gehen konnten.
»Nein, bitte nicht!«, seufzte Urd. »Ich bin geflohen, weil ich
nichts mehr darüber hören wollte. Erzähl mir eine Geschichte
aus deinem Leben, Andrej.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, antwortete er ausweichend. Urd sah ihn zweifelnd an, und Andrej rettete sich in ein
verlegenes Schulterzucken. »Ich könnte eine Menge spannender
und abenteuerlicher Geschichten erzählen –«
»Geschichten von großen Schlachten und gewaltigen Ungeheuern, die du erschlagen hast. Nehme ich an.«
»– aber ich glaube nicht, dass das die Art von Geschichten
sind, die du hören wolltest«, schloss Andrej.
»Und es gibt keine anderen?«, bezweifelte Urd.
»Nein«, antwortete Andrej, zuckte abermals mit den Achseln
und verbesserte sich: »Nicht viele. Und es ist lange her.«
»Das klingt traurig«, sagte Urd. »Ein so langes Leben, und
alles, wovon du erzählen kannst, sind Schlachten und Tod?«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil du ununterbrochen davon sprichst«, antwortete Urd.
»Ich meine, dass ich ein langes Leben hatte«, beharrte Andrej.
Urd lachte. »Dein Freund Abu Dun. Wenn auch nur die Hälfte
der Heldentaten wahr ist, mit denen er prahlt, dann reichen auch
zwei Leben nicht, um sie alle zu vollbringen.«
»Sagte ich schon, dass Abu Dun zu viel redet?«
»Das eine oder andere Mal«, sagte Urd ruhig. Wieder lachte
sie leise, sah ihn aber auf eine plötzlich sonderbar forschende
Art an, die ihm klarmachte, dass ihre Heiterkeit nur vorgeschoben war. »Wie alt bist du, Andrej Delãny?«, fragte sie dann.
»Ein wenig älter, als ich aussehe«, antwortete er ausweichend.
Urds Blick wurde nun vollends bohrend, und er fügte mit einem
Grinsen hinzu, das ihm gründlich misslang: »Ich habe mich gut
gehalten.«
»Du willst nicht darüber reden«, sagte Urd. »Ich weiß: Jetzt nicht.«
Andrej reagierte gar nicht darauf, sondern wandte erneut im
Gehen den Kopf, um zurückzuschauen. Die wenigen Männer,
die noch hinter ihnen marschierten, wichen seinem Blick hastig
aus, und wiederum ein Stück dahinter gewahrte er zwei oder
drei verschwommene Schemen, selbst für seine scharfen Augen
kaum noch zu identifizieren: die Nachhut, die Thure in einem
Abstand von einer Viertelstunde hinter ihnen hermarschieren
ließ, um auch ganz sicher zu sein, dass niemand sie verfolgte.
Eine scheinbar umsichtige, nach Andrejs Meinung aber entschieden dumme Vorsichtsmaßnahme. Hätte er die Männer
angeführt, die sie – vielleicht – verfolgten, wären die armen
Hunde dort hinten
Weitere Kostenlose Bücher