Das Daemonenschiff
kurzen Blick auf seine wirkliche
Quelle zu gewähren. Vielleicht hundert oder hundertfünfzig Schritte
vor ihnen brodelte ein See aus kochend heißem Wasser, ein Stück
kleiner als der klare Quellsee., an dem er das erste Mal allein mit
Urd gesprochen hatte, aber siedend heiß und mit nackten Ufern, von
denen das brodelnde Wasser jegliches Leben heruntergebrannt hatte.
Dann schloss sich der Vorhang aus grauem Dampf wieder.
»Eine der heißen Quellen, von denen du erzählt hast?«, vermutete Abu Dun.
»Ja.« Thure nickte. »Kommt dem Dampf nicht zu nahe.« Die
letzten Worte hatte er lauter ausgesprochen, und die nächsten
rief er mit noch lauterer, weithin hörbarer Stimme: »Keiner
berührt den Dampf, er kann euch verbrühen!«
Andrej bezweifelte das. Der Dampf war heiß, aber nicht so heiß, doch Thures Warnung war in anderer Hinsicht vielleicht
nur zu berechtigt: So angenehm warm dieser staubfeine Dunst
auch sein mochte, musste er doch zugleich jeden, der ihm nahe
kam, binnen eines einzigen Augenblickes bis auf die Haut
durchnässen und danach ebenso schnell wieder abkühlen, was
bei den hier herrschenden Temperaturen durchaus zu einer
tödlichen Gefahr werden konnte.
Nur einen kurzen Moment später begriff er, dass Thures
Warnung auch noch einen anderen Grund gehabt hatte. Die Erde
erzitterte – kein wirkliches Beben, sondern nur ein kurzer, wenn
auch sehr heftiger Ruck –, und eine brüllende Wassersäule
schoss zehn oder fünfzehn Manneslängen hoch über die Dampfwolke hinaus und zerstob zu kochendem Regen, der mit einem
hörbaren Zischen in weitem Umkreis auf den Felsen und das Eis
niederging. Keiner der Männer war der Dampfwolke auch nur
nahe genug gewesen, um von einem einzigen Tropfen berührt zu
werden, doch die gesamte Kolonne bewegte sich trotzdem
erschrocken und rasch ein kleines Stück zur Seite.
»Was für ein gemütliches Fleckchen Erde«, grollte Abu Dun
auf Arabisch. »Da fühlt man sich doch gleich wie zu Hause,
nicht wahr?«
»Ja«, pflichtete ihm Andrej bei. »Es fehlen nur noch die
gemütlichen Sandstürme.«
»Hier lebt niemand«, sagte Thure, bevor Abu Dun antworten
konnte, und so vorsichtig, als hätte er Angst, ihre Worte könnten
von irgendjemandem – oder etwas – gehört werden und vielleicht eine Reaktion hervorrufen. »Dieses Land ist nicht für
Menschen bestimmt.«
»Und was suchen wir dann hier?«, nörgelte Abu Dun.
»Vielleicht sorgen wir dafür, dass nicht irgendwann die ganze
Welt so aussieht«, antwortete Thure. Er schauderte übertrieben.
»Wenn das hier das Land der Götter ist, dann frage ich mich
allmählich, warum wir sie eigentlich anbeten.«
»Vielleicht waren eure Gebete ja nicht inbrünstig genug«,
sinnierte Abu Dun. »In meiner Heimat gibt es kristallklare
Flüsse, schattige Oasen und fruchtbare Felder und Wälder.«
»Die Sandstürme nicht zu vergessen«, fügte Andrej hinzu.
»Und die Skorpione, die Spinnen und die Schlangen. Von
deinen reizenden Landsleuten ganz zu schweigen.«
»Ja, die Menschen hier sind sehr viel umgänglicher«, bestätigte Abu Dun – auch jetzt wieder in seiner Muttersprache,
zugleich aber auch mit einer so spöttischen Betonung, dass nicht
nur Thure die Stirn runzelte. »Und so warmherzig, nicht wahr?«
»Ihr solltet in einer Sprache reden, die alle hier verstehen.«
Andrej war überrascht. Er hatte mit diesem Einwand von
Thure gerechnet, aber es war Urd, die diese Worte sagte, und
das in besorgtem Ton. Und selbstverständlich hatte sie recht. Er
hatte sich mittlerweile beinahe daran gewöhnt, dass die Männer
Abu Dun und ihn argwöhnisch beäugten, doch seit sie an diesem
Morgen von Bord gegangen waren und jedermann gesehen
hatte, auf welch unheimliche Weise der Nubier wieder gesundet
war, starrten viele der Männer Abu Dun ganz unverblümt an,
und in mehr als einem Augenpaar las er unverhohlene Angst.
»Du hast recht«, sagte er. »Entschuldige.« Er lachte nervös.
»Anscheinend macht dieses Land nicht nur deine Leute nervöser, als es sollte.«
»Vielleicht hat mein Bruder ja recht«, murmelte Urd. »Wenn
das die Welt ist, wie sie die Götter für sich haben wollen, dann
müssen wir wahrscheinlich hier sein, um es zu verhindern.«
Andrej merkte auf. In Urds Stimme war ein Ton, der ihm nicht
gefiel, und sie wich seinem Blick aus. Selbstverständlich litt sie,
wie alle hier – selbst Abu Dun und er –, unter der Kälte, den
Mühen des anstrengenden Marsches und auch der Angst vor
dem,
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