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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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was vor ihnen liegen mochte, aber da war noch mehr.
»Warum erzählst du mir nicht von Grünland«, bat er, nicht, weil
ihn das Thema wirklich interessiert hätte, sondern nur, um sie
auf andere Gedanken zu bringen. »Wie ist es dort?«
»Ich war noch niemals dort, also wie soll ich diese Frage
beantworten?«, gab Urd zurück, jetzt schon wieder in unüberhörbar spöttischem Ton und mit einem amüsierten Funkeln in
den Augen. Aber sie fuhr dennoch fort. »Man sagt, dass dieses
Land seinen Namen verdient. Es ist ein fruchtbares Land, voller
saftiger Wiesen, wo das Vieh weiden kann, dichter Wälder und
reiner Flüsse. Angeblich hat unser Volk früher dort in Frieden
gelebt. Es war niemals kalt, und die Tage waren stets länger als
die Nächte. Sie hatten keine Feinde, und niemand musste
hungern oder um sein Leben fürchten. Aber dann haben wir die
Götter erzürnt, und unser Volk wurde von dort vertrieben.«
Andrej hatte es selbst nicht einmal bemerkt, aber etwas in
seinem Gesicht musste sich wohl verändert haben, denn Urd zog
die Augenbraue hoch und fragte: »Was ist so komisch an dieser
Geschichte? Findest du nur sie naiv, oder auch mich?«
»Nein«, versicherte Andrej hastig. »Es ist nur … irgendwie
kommt sie mir bekannt vor.«
»Ich glaube, ich habe sie schon einmal erzählt«, sagte Urd.
»Man erzählt sie sich auch bei uns«, antwortete Andrej kopfschüttelnd. »Nur kommt ein bisschen weniger Eis darin vor.«
Urd setzte zu einer weiteren – und diesmal sichtlich verärgerten – Antwort an, als die Erde erneut erschauerte. Hinter ihnen
stieg eine weitere, kochend heiße Säule aus Wasser und Dampf
in die Höhe und regnete zu Boden. Andrej gewann ein paar
kostbare Augenblicke, als er dem ebenso bedrohlichen wie
faszinierenden Naturschauspiel zusah, und ganz, wie er erhofft
hatte, war Urds Ärger verflogen, als er sich wieder zu ihr
umwandte. Dennoch fuhr er in versöhnlicherem Ton fort: »Ich
wollte mich nicht über dich lustig machen, Urd. Es war die
Wahrheit – auch dort, wo ich herkomme, erzählen sich die
Menschen eine ganz ähnliche Geschichte.«
»Vielleicht sind sie ja mit uns verwandt.«
»Oder es ist der Traum jedes Menschen, dass es irgendwo auf
der Welt einen Ort gibt, wo er in Frieden und Ruhe leben kann.«
»Eine schöne Vorstellung«, sagte Urd. »Hast du einen solchen
Ort gefunden auf deinen vielen Reisen?«
Andrej blieb ihr die Antwort auf diese Frage schuldig. Es hätte
ihn traurig gemacht, laut auszusprechen, dass er das verneinen
musste. Aber wenn er ehrlich war, dann hatte er eigentlich auch
nie danach gesucht. Sein Versuch, Urd durch eine belanglose
Frage aufzuheitern, hatte eher das Gegenteil bewirkt, aber ihm
wollten auch einfach keine Worte einfallen, die ihre Schwermut
nicht noch schlimmer gemacht hätten. Eine geraume Weile
gingen sie schweigend nebeneinander her, und Andrej fühlte
sich immer unbehaglicher. Am liebsten hätte er zu Abu Dun
aufgeschlossen, aber das wäre eine kindische Reaktion gewesen.
Und er war auch ziemlich sicher, dass Urd sie ihm übel genommen – oder sich im besten Fall darüber lustig gemacht – hätte.
So beschränkte er sich darauf, schweigend neben ihr herzugehen
und (mit wenig Erfolg) den Eindruck zu erwecken, dass alles in
Ordnung und ihm allenfalls kalt wäre.
Der Geysir spuckte noch zwei oder drei Mal Dampf und
kochendes Wasser und hüllte sich dann wieder in grauen Nebel,
und genau wie Thure es vorhergesagt hatte, neigte sich der Tag
nun rasch seinem Ende zu. Die Sonne verblasste zusehends, und
aus einem trübgrauen Tag wurde eine noch trübere, kurze
Dämmerung. Von den Bergen, die Thure ihnen versprochen
hatte, war immer noch nichts zu sehen.
Aber mit dem allerletzten Licht des Tages sahen sie die Festung des falschen Gottes.
Abu Dun und Thure, die wieder ein paar Schritte vorausgingen, blieben plötzlich so abrupt stehen, als wären sie unversehens an einem Abgrund angekommen, und auch die Männer
unmittelbar hinter ihnen prallten erschrocken zurück und
erstarrten dann mitten in der Bewegung. Andrej runzelte die
Stirn, schritt schneller aus und blieb dann genauso abrupt stehen.
Unmittelbar vor ihnen gähnte tatsächlich ein Abgrund von
mindestens zwei, wenn nicht dreihundert Metern Tiefe, und jetzt
sahen sie auch die Berge, von denen Thure gesprochen hatte.
Sie waren nicht nur da, den ganzen Tag über waren sie auch
unter ihren Füßen gewesen, buchstäblich.
»Was bei Allah ist das? « ,

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