Das Daemonenschiff
nicht mehr mit
einem Später davonkommen.
»Wir«, verbesserte er sie sanft.
»Ihr, gut«, sagte Urd, und Andrej schüttelte den Kopf und
unterbrach sie erneut.
»Wir alle, Urd. Abu Dun, ich … und du.«
Die Furcht in Urds Blick wurde größer. Ihr Gesicht, das ohnehin bleich wie das einer Toten gewesen war, verlor noch mehr
an Farbe, und sie begann am ganzen Leib zu zittern. Plötzlich
wollte Andrej nichts mehr, als sie in die Arme zu schließen und
tröstend an sich zu drücken, doch er blieb reglos sitzen und sah
sie nur weiter an. Der Schmerz in ihren Augen wurde zu seinem
eigenen, schlimmer, als es jede körperliche Qual sein konnte.
»Andrej, bist du sicher, dass –«, begann Abu Dun, und Andrej
hob erschrockenen die Hand und gebot ihm zu schweigen.
»Ich erwarte nicht, dass du es verstehst, Urd«, sagte er sanft.
»Es ist der falscheste Moment überhaupt, ich weiß, aber du
wärst gestorben, hätte ich es nicht getan. Es tut mir leid, dass du
es auf diese Weise erfahren musst.«
»Erfahren?«, murmelte Urd. Ihr Zittern wurde noch stärker.
»Was? Was … was hast du mit mir gemacht?«
»Nichts«, erwiderte Andrej. Auch wenn es fast seine Kräfte
überstieg, die bodenlose Furcht in ihren Augen mit anzusehen,
hielt er ihren Blick doch fest. »Ich habe nichts getan, Urd. Ich
habe dir nur gezeigt, was du schon immer gewesen bist. Eine
von uns.«
Abu Dun sog so scharf und erschrocken die Luft zwischen den
Zähnen ein, dass es fast wie ein Schrei klang, und aus der Angst
in Urds Augen wurde für einen unendlich kurzen Moment etwas
anderes, Schlimmeres.
»Es ist nichts Schlimmes, Urd«, fuhr Andrej mit leiser, nun
ebenfalls zitternder Stimme fort und in einem flehenden Ton, für
den er sich selbst hasste. »Wir sind keine Ungeheuer. Du musst
keine Angst haben. Und eigentlich hast du es schon immer
gewusst, habe ich recht?«
Natürlich bekam er keine Antwort. Der Ausdruck von Entsetzen in ihrem Blick schien für einen Moment sogar noch stärker
zu werden – und erlosch dann. »Aber … aber ich bin –«, begann
sie »– nichts anderes, als du schon immer gewesen bist«,
unterbrach sie Andrej beinahe hastig. Er zwang sich zu einem
Lächeln. »Die bezauberndste Frau, die ich jemals kennengelernt
habe. Und ich fürchte«, fügte er mit einem gezwungenen,
schiefen Grinsen hinzu, »dass ich dich jetzt länger am Hals
haben werde, als ich am Anfang geahnt habe.«
Zu seiner Überraschung lächelte Urd, allerdings nur kurz, dann
schüttelte sie den Kopf, verwirrt, erschrocken und so hilflos,
dass er schon wieder all seine Selbstbeherrschung aufbieten
musste, um sie nicht an sich zu drücken. Warum tat er es
eigentlich nicht?
»Du … du erlaubst dir keinen bösen Scherz mit mir?«, fragte
sie.
»Damit würde ich nicht scherzen«, erwiderte Andrej ernst.
»Ich erwarte nicht, dass du es verstehst, Urd. Noch nicht. Aber
ich weiß, wie du dich jetzt fühlst. Abu Dun und mir ist es am
Anfang nicht anders ergangen. Du hast Angst, aber das musst du
nicht.«
Er konnte ihr ansehen, wie wenig Trost sie aus diesen Worten
schöpfte. Wie sollte sie auch etwas begreifen, dass selbst Abu
Dun und er nach all diesen ungezählten Jahren noch nicht
endgültig begriffen hatten und vielleicht niemals endgültig
begreifen würden?
»Aber ich … ich bin doch nur ein … ein ganz normaler
Mensch«, flüsterte sie stockend, und wieder loderte schwarze
Furcht in ihren Augen und drohte zu etwas viel Schlimmerem zu
werden.
»Genau wie Abu Dun und ich«, antwortete Andrej. Er versuchte abermals zu lächeln, und diesmal gelang es ihm sogar.
»Wir haben nur ein paar kleine … Tricks auf Lager, die die
meisten anderen verblüffen.«
»Ihr seid Dämonen«, flüsterte Urd. Es sollte scherzhaft klingen, aber das tat es nicht.
» Wenn wir es sind, bist du es auch«, antwortete Andrej. »Aber
du wüsstest es, wenn es so wäre.« Er schüttelte den Kopf.
»Denk an das, was du mir über deine Familie erzählt hast. Über
Thure, über deine Mutter und Werdandi. Diese Kraft war schon
immer in dir. Ich habe dir nur gezeigt, wie man sie benutzt. Und
es ist nichts Schlechtes an ihr. Versuch jetzt nicht, alles zu
verstehen. Dazu hast du noch Zeit. Sehr viel Zeit.«
»Zeit?« Urd blinzelte. »Du meinst –«
»Wenn das hier vorbei ist«, sagte Andrej, »dann werde ich
versuchen, alle Fragen zu beantworten. Aber es könnte eine
Weile dauern. So um die hundert Jahre. Oder auch zweihundert.«
Urd starrte ihn an, und
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