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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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das Gesicht des Kriegers vor sich, dem er die
Hand vom Arm geschlagen hatte, und ein eisiger Schauer lief
ihm über den Rücken. Etwas an diesen Männern machte ihm
Angst. Nicht ihre körperliche Kraft, denn die konnte er bezwingen, nein, das, was sie im Innersten antrieb und zu dem machte,
was sie waren. »Björn hat gesagt, dass wir hier warten können,
bis ein Schiff vorbeikommt, das uns mitnimmt. Sein Bruder
wird zu seinem Wort stehen.«
»Und wie lange wird das dauern?«, fragte Abu Dun. »Einen
Monat? Drei? Oder ein Jahr?« Er schüttelte den Kopf, als
Andrej antworten wollte. »Wir könnten uns wenigstens anhören,
was er zu sagen hat. Heute Abend, während der Feier.«
Andrej hatte weder jetzt noch am kommenden Abend Lust,
sich das Angebot des Nordmannes anzuhören. Alles in ihm
sträubte sich schon jetzt gegen die Vorstellung, einem dieser
unheimlichen Krieger noch einmal gegenüberzustehen … aber
vielleicht hatte Abu Dun ja recht. Was schadete es schon, mit
Thure zu reden?
König Harald lebte in einem Haus, das groß genug war, um alle
Bewohner des Dorfes aufzunehmen, trotzdem aber nur aus einem
einzigen, großen Raum bestand. Eine Anzahl dreifach armdicker
Balken stützte das weit überhängende Dach, das aus getrocknetem Gras bestand und aussah, als würde es beim ersten Funken in
Flammen aufgehen. Trotzdem gab es ein halbes Dutzend Feuerstellen unter genauso vielen Rauchlöchern im Dach. Die Fenster,
von denen es angesichts der Größe dieses Hauses nur sehr wenige
gab, waren klein und mit dünnen Häuten verschlossen, die zwar
den Wind aussperrten, aber auch einen Großteil des Lichtes. Zu
allem Überfluss hatte es draußen bereits wieder zu dämmern begonnen, und das weitaus früher, als Andrej erwartet hatte. Vielleicht war die Zeit hier nicht ganz so aus ihrer Bahn geraten wie
auf der Insel, auf der sie Björn und seinen Bruder getroffen hatten, aber die Tage waren hier dennoch weitaus kürzer, als er es
gewohnt war. Möglicherweise hatte Abu Dun ja recht, und sie
sollten besser alles daran setzen, um hier fortzukommen.
»Mein Vater ist jetzt bereit, euch zu empfangen.« Thure winkte sie in den hinteren Bereich des Langhauses. Sie waren schon
vor einer geraumen Weile eingetroffen und warteten nun darauf,
begrüßt zu werden, und Andrejs Geduld war allmählich erschöpft. König Harald, der immerhin über ein Volk von beinahe
einhundert Köpfen herrschte, liebte anscheinend ein großes Protokoll. Er war schon einfacher und schneller zu richtigen Königen vorgelassen worden. Aber schließlich hatte Thure ihn gewarnt, dass sein Vater ein wenig … schwierig sein konnte.
Sie folgten dem Nordmann. Etliche von Haralds Kriegern –
zwei von ihnen, die schon mit auf der Insel gewesen waren,
kannte er, aber sie wichen seinem Blick aus – bildeten ein bedrohliches Spalier, und Harald selbst saß auf einem riesigen
Thron mit einer geschnitzten Lehne, auf dem selbst ein Mann
von Thures Statur klein gewirkt hätte. Harald sah darin aus wie
ein Zwerg. Ein sehr alter und sehr kranker Zwerg.
Andrej schätzte ihn auf siebzig, wenn nicht mehr Jahre. Früher
einmal musste er ein stattlicher Mann gewesen sein, ebenso groß
wie Björn, möglicherweise sogar wie Thure, jetzt jedoch war
seine Gestalt ausgemergelt und zusammengesunken, und seine
Schultern schienen unter der Last von viel zu vielen Jahren gebeugt. Sein Gesicht war von Falten zerfurcht, und sein Haar, das
einmal so dicht und lang wie das seiner Söhne gewesen sein
musste, hing ihm in dünnen, grauen Strähnen ins Gesicht und
bis auf seine Schultern hinab. Doch die Augen waren noch
lebendig und wach und musterten Andrej und Abu Dun aus
einem Netz unzähliger winziger Fältchen heraus aufmerksam.
Als er den Mund öffnete, um zu reden, sah Andrej, dass er kaum
noch Zähne hatte.
»Ihr seid also die beiden Fremden, von denen mir mein Sohn
berichtet hat.« Er sprach mühsam, mit dünner Stimme – ein
krächzendes Fisteln, als stecke etwas in seinem Hals, das ihn am
Sprechen zu hindern versuchte.
»Ich bin Andrej Delãny«, antwortete Andrej und hob die Hand
zum respektvollen Gruß. »Das ist Abu Dun.«
Harald sah zuerst ihn und dann den Nubier lange und so
durchdringend an, dass Andrej sich unter diesem Blick unwohl
zu fühlen begann. Zugleich hatte er das sonderbare Gefühl, dass
der alte König ihm verschwörerisch zuzublinzeln schien. Aber
als er sich an seinen Sohn wandte, tat er dasselbe, und Andrej
erkannte, dass

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