Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
brannte bereits Licht, ein trübgelber Schein von Kerzen
oder Öllampen, der dem Grau der Dämmerung trotzte, und auf
den Wegen waren bereits ein halbes Dutzend Menschen unterwegs. Zwei oder drei Gesichter wandten sich in seine Richtung,
man lächelte ihm verschlafen zu, grüßte ihn mit einem Kopfnicken oder einem knappen Winken, so selbstverständlich, als
begrüßten sie keinen Fremden, sondern jemanden, der zu ihnen
gehörte. Der Gedanke erfüllte ihn mit einer Wärme, die ihn
überraschte und verwirrte. Andrej versuchte vergeblich, sich zu
erinnern, was gestern Abend im Einzelnen geschehen war. Möglicherweise hatte er sich mit dem einen oder anderen hier inniger
verbrüdert, als er sich ursprünglich vorgenommen hatte.
    Er verscheuchte den Gedanken, drehte sich um und ging einige
Meter zum Meer hinunter, um sich zu waschen. Vom Wasser
stieg ein eisiger Hauch auf, der ihn schaudern ließ, und als er
tapfer in die Hocke ging und die Hände ausstrecken wollte, roch
er den leichten, aber penetranten Gestank nach totem Fisch. Nur
einen Moment später entdeckte er auch dessen Ursprung: Weniger als einen Steinwurf von ihm entfernt tanzten zerstückelte
Fische auf dem Wasser; vermutlich die Reste des Festmahls der
vergangenen Nacht, die jemand einfach ins Meer gekippt und
sich – vergebens – darauf verlassen hatte, dass die Dünung sie
mit sich riss. Todesmutig schöpfte er sich dennoch eine Handvoll eiskaltes Wasser ins Gesicht, verzog angeekelt den Mund
und hörte ein spöttisches Lachen hinter sich, als er sich prustend
aufrichtete.
    Es war der Junge, der gestern so erschrocken vor ihm davongelaufen war. Von Schrecken oder gar Furcht war auf seinem
Gesicht jetzt nichts mehr zu erkennen. Er grinste Andrej fröhlich
und mit unverhohlener Schadenfreude an und fragte: »Wascht
ihr euch da, wo du herkommst, alle mit schmutzigem Wasser?«
    »Wenn kein sauberes da ist«, gab Andrej verstimmt zurück. Er
richtete sich auf, behutsam, und nicht zu seiner vollen Größe,
um den Jungen nicht zu erschrecken und abermals in die Flucht
zu schlagen, aber dessen Grinsen wurde breiter, als er den Kopf
in den Nacken legte, um zu Andrej hochzusehen.
    »Sauberes Wasser gibt es im Bach«, sagte er.
»Und wo ist dieser Bach?«, erkundigte sich Andrej.
Der Junge deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Dort
hinten. Das Wasser ist klar. Und man kann es sogar trinken.«
    Andrej blinzelte aus brennenden Augen (er hoffte, dass sie nur
vom Salzwasser brannten) und setzte sich schulterzuckend in
Bewegung. In wenigen Augenblicken hatte er das Dorf durchquert, fand den Bach aber nicht und schlurfte mit hängenden
Schultern und sinkender Laune weiter. Er hatte sich waschen
wollen und keinen Morgenlauf vorgehabt.
    Der steinige Uferstreifen, auf dem das Dorf gebaut war, endete
gute zwei Dutzend Schritte hinter dem Langhaus des Königs an
einem bewaldeten Hang. Irgendwann (vielleicht vor hundert
Jahren, mutmaßte Andrej) hatte es einmal einen Zaun gegeben,
von dem jetzt aber nur noch ein paar faulige Stümpfe geblieben
waren, Haralds Zähnen gleich, dachte Andrej, um die sich nun
Unkraut und Kletterpflanzen rankten. Andrej sah gleich drei
oder vier Trampelpfade, die sich den Hang hinaufwanden und
zwischen Bäumen und Unterholz verschwanden. Willkürlich
folgte er einem davon und machte nach einigen Schritten wieder
kehrt, als seine scharfen Ohren das entfernte Plätschern von
Wasser vernahmen. Er folgte dem Geräusch, aber es dauerte
eine Weile, bis er in der Ferne flirrendes Sonnenlicht sah, das
sich auf fließendem Wasser brach. Erst jetzt bemerkte er, dass
die Sonne inzwischen am Himmel stand. Zwischen den Bäumen
jedoch war es noch düster, und so kühl, dass es ihn fröstelte und
er schneller ausschritt. Schließlich erreichte er einen kaum einen
Schritt breiten, aber tief eingeschnittenen, reißenden Bach, der
sich hangabwärts ins Meer ergoss. Nach der Beschreibung des
Jungen hätte er den Bach lange suchen können, wäre er nicht
durch Zufall darauf gestoßen, dachte er sarkastisch.
    Andrej ließ sich in die Hocke sinken, tauchte die Hände in das
schnell fließende Nass, das ihm kälter vorkam als das Meerwasser, und streifte dann tapfer das Wams ab, um sich gründlich zu
waschen. Hinterher klapperte er buchstäblich mit den Zähnen,
Gesicht und Hände waren taub vor Kälte, doch der widerliche
Fischgeruch war verschwunden, und er fühlte sich herrlich erfrischt und zum ersten Mal an

Weitere Kostenlose Bücher