Das Daemonenschiff
diesem Tag wirklich wach.
Außerdem hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden.
Er ließ sich nichts anmerken, sondern blieb noch eine kurze
Weile am Ufer des Baches hocken, um sein Wams dann langsam
und umständlich überzustreifen. Er lauschte konzentriert und sah
seinen Verdacht bestätigt. Irgendjemand stand nicht weit entfernt
im Unterholz und verfolgte jede seiner Bewegungen. Andrej
spürte jedoch keinerlei Feindseligkeit oder Arglist, nur Neugier
und erfreutes Interesse, also entschied er, den vorwitzigen Beobachter nicht zu packen, bevor dieser überhaupt wusste, wie ihm
geschah (was er mit Leichtigkeit gekonnt hätte), sondern sich
langsam zu erheben und sich dem neugierigen Späher zuzuwenden. Kurz darauf entfernten sich schnelle, leichtfüßige Schritte,
und auch ein weniger scharfes Auge als das seine hätte das sachte
Wippen im Unterholz bemerkt, als die biegsamen Zweige wieder
in ihre ursprüngliche Position zurückschnellten. Als er sich dem
Versteck näherte, roch er einen sachten, aber unverkennbaren
Duft und lächelte erfreut.
Es fiel ihm nicht schwer, Urds Spur zu folgen. Andrejs Sinne
waren so scharf wie die eines Spürhundes, aber jetzt musste er
sie nicht anstrengen. Sie hatte sich keine Mühe gegeben, ihre
Fährte zu verbergen. Beinahe hätte man sogar meinen können,
sie wollte, dass er ihr folgte.
Das Erste, worüber er – wortwörtlich – stolperte, war das zerschlissene blaugraue Kleid, das sie gestern getragen hatte. Es lag
wie achtlos fallen gelassen auf dem Trampelpfad, auf dem er
ihrer Spur folgte, und er hörte ein leises Plätschern. Als er die
Zweige auseinanderbog um hindurchzuspähen, fand er sich unversehens am Ufer eines kreisrunden Sees wieder, dessen Wasser so kristallklar war, dass man bis auf den tiefen Grund hinabsehen konnte.
Jetzt aber nahm etwas anderes seine ganze Aufmerksamkeit
gefangen. Er starrte Urd an, die mit kraftvollen Zügen durch das
Wasser schwamm, ihr rückenlanges goldfarbenes Haar wie eine
Schleppe hinter sich herziehend, und vorgab, seine Anwesenheit
nicht zu bemerken.
Andrej ließ sich mit untergeschlagenen Beinen am Ufer nieder, geduldete sich einen Moment und amüsierte sich dann im
Stillen über den Ausdruck von schlecht gespielter Überraschung, als Urd das andere Ufer erreichte und sich umwandte.
Wasser tretend verharrte sie einige Augenblicke lang auf der
Stelle und versuchte dann – scheinbar erschrocken – mit beiden
Händen all das zu bedecken, was sie Andrej vorher so ausführlich gezeigt hatte. Prompt ging sie unter und kam erst nach
einem Moment prustend und Wasser spuckend wieder an die
Oberfläche. Er war sicher. Das kleine Schauspiel war nur für ihn
bestimmt gewesen.
»Andrej Delãny!«, schimpfte sie, nachdem sie wieder halbwegs zu Atem gekommen war. »Ist es in deiner Heimat etwa
üblich, ehrbare Frauen beim Baden zu beobachten?«
Andrej schwieg.
»Wie kommst du überhaupt hierher?«, fuhr sie fort, scheinbar
noch zorniger.
»Ich bin der Spur gefolgt, die du mir gelegt hast«, antwortete
Andrej lächelnd. »Sie war ja auch kaum zu übersehen.«
Urd funkelte ihn an, aber nur für einen Moment. Dann lachte
sie und schwamm mit wenigen schnellen Stößen zurück, um
sich mit beiden Händen am steinigen Ufer zu seinen Füßen festzuklammern. »Warum kommst du nicht ins Wasser?«, fragte sie.
»Es ist herrlich.«
»Und ziemlich kalt«, vermutete Andrej. Zugleich fragte er
sich, was eigentlich in ihn gefahren war, dieser mehr als deutlichen Aufforderung nicht Folge zu leisten.
Vielleicht war es ihr Anblick. So dicht am Ufer, wie sie jetzt
im Wasser schwebte und sich mit den Fingerspitzen an einem
Stein festhielt, konnte er nur ihr Gesicht und ihre Schultern erkennen, nichts mehr von alledem, was sie ihm gerade so freizügig gezeigt hatte. Aber dieser Anblick schien ihm beinahe
reizvoller. Ihr Gesicht war längst nicht das schönste, das er jemals gesehen hatte – und wie auch? Andrej hatte längst aufgehört, zu zählen, wie viele Frauen er schon gehabt hatte. In einem
Leben, das nach Jahrhunderten zählte und nicht nach Jahren,
ging auch ihre Zahl in die Hunderte, und viele von ihnen waren
schöner und verführerischer gewesen als Urd, und viele auch
williger. Und dennoch war etwas an ihr, das ihn verwirrte. Er
schreckte zurück, denn sie rührte an etwas, tief verborgen in
seinem Inneren, das nicht geweckt werden durfte. Nie wieder.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, veränderte sich Urds
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