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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zu lassen.«
Andrej sah sie fragend an. Er war nicht sicher, ob er verstand,
worauf Sie hinauswollte. Oder ob er es verstehen wollte.
»Du bist ein Christ, nicht wahr?«, fragte Urd. Andrej nickte.
»Ich kenne mich in eurer Religion nicht sonderlich gut aus«,
fuhr sie fort, »aber glaubt ihr nicht daran, dass eure Seelen nach
dem Tod zu eurem Gott auffahren – so wie wir glauben, dass
sich die Krieger nach ihrem Ende an Odins Tafel wiederfinden?«
»Ich bin zwar getauft«, antwortete Andrej, »aber es ist ziemlich lange her, dass ich –«
»Wenn du das glaubst, Andrej«, fuhr Urd unbeeindruckt fort
und ohne seinen Einwand zur Kenntnis zu nehmen, »dann lass
ihre Seele los und gestatte ihr heimzukehren. Das bist du ihr
schuldig, wenn du sie wirklich so geliebt hast, wie du sagst.«
Als ob er sich nicht dasselbe gefragt hätte – mehr als einmal und
sogar mit nahezu denselben Worten! Und doch klang es aus ihrem
Mund völlig anders, als hätten die Worte plötzlich eine vollkommen neue und ihm bis zu diesem Moment unbekannte Bedeutung
gewonnen. Er war verwirrt. Was tat dieses Mädchen mit ihm?
Er wollte antworten, doch in diesem Moment hatte er erneut
das Gefühl, beobachtet zu werden, doch jetzt auf eine weniger
angenehme Art.
Es waren nicht die scharfen Sinne des Vampyrs in ihm, die ihn
warnten, sondern das ganz simple Brechen eines Zweiges irgendwo im Gebüsch hinter ihnen. Es war sogar Urd, die einen
halben Wimpernschlag vor ihm zusammenfuhr und erschrocken
aussah, um dann sofort wieder zu lächeln und ihm besänftigend
die Hand auf den Unterarm zu legen, als er aufspringen wollte.
»Keine Sorge. Das ist nur mein kindischer Bruder.«
»Thure?« Sollte ihn das etwa beruhigen?
»Ich glaube, ich habe es dir schon gesagt«, erwiderte Urd, jetzt
wieder spöttisch. »Er ist nicht eifersüchtig. Und selbst wenn er
es wäre – er hätte keinen Grund dazu. Wir sitzen nur hier,
oder?«
»Ich mag es trotzdem nicht, beobachtet zu werden«, grollte
Andrej. Die Wahrheit war, dass er es nicht mochte, von Thure beobachtet zu werden.
»Obwohl du selbst so gerne andere beobachtest?«, neckte sie
ihn. Ihre Hand lag noch immer auf seinem Arm, das aber auf
eine so selbstverständliche und vertraute Art, dass er es erst
wirklich zur Kenntnis nahm, als sie sie nun zurückzog.
»Nur, wenn man mich dazu auffordert«, antwortete er. Die
Bemerkung tat ihm sofort wieder leid, aber Urd nahm sie ihm
offenbar nicht übel. Sie kicherte nur, dann stand sie mit einer
geschmeidigen Bewegung auf. »Du kannst jetzt herauskommen,
Thure«, sagte sie laut.
Thure kam nicht aus seinem Versteck, sondern entfernte sich
im Gegenteil hastig. Andrej musste plötzlich gegen das heftige
Verlangen ankämpfen, aufzuspringen und ihm nachzueilen, um
dem anderthalb Köpfe größeren Nordmann auf drastische Weise
zu zeigen, wie wenig hundert Pfund mehr an Muskeln gegen
hundert Jahre mehr an Lebenszeit ausmachten. Aber gleich verwarf er den Gedanken wieder, weil er zu albern war. Warum ihn
Thures Verhalten so über die Maßen ärgerte, verstand er nicht.
Urd und er hatten nichts getan, was er nicht hätte sehen dürfen
… und doch fühlte er sich, als hätte Thure sie in einem Moment
allergrößter Intimität überrascht.
»Und warum läuft er dann davon, wenn er uns nicht bespitzelt
hat?«, fragte er scharf.
»Vielleicht hat er Angst vor dir?«, neckte ihn Urd weiter, fügte
aber dann, jetzt ernster, hinzu: »Vielleicht ist es ihm peinlich.
Begeh nicht den Fehler, ihn falsch einzuschätzen, nur weil er so
groß und stark ist. Auch starke Männer haben Gefühle. Ist das
bei deinem schwarzen Freund nicht so?«
»Abu Dun? Doch. Manchmal hat er sogar zu viel davon«,
erwiderte Andrej.
»Und Thure ist nicht anders. Er ist nicht eifersüchtig, und er
weiß, dass ich ihm die Augen auskratzen würde, wenn er auch
nur versuchen sollte, mir etwas vorzuschreiben. Aber er hat stets
ein waches Auge auf mich. Er beschützt seine Familie … wie es
die Aufgabe großer Brüder ist.«
»Großer Brüder? Ich dachte, Björn wäre der ältere.«
Urd lachte. »Eine Minute«, bestätigte sie. »Vielleicht auch
zwei. Aber bestimmt nicht mehr. Björn und er sind Zwillinge.
Björn ist der Erstgeborene – auch wenn er nicht so aussieht.
Aber Thure benimmt sich trotzdem, als wäre er der ältere. Er
fühlt sich für uns alle verantwortlich.« Sie bog die Zweige
auseinander, hinter denen Thure gestanden und sie beobachtet
hatte, aber Andrej

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