Das Daemonenschiff
Lächeln unmerklich. Immer noch offen und einladend, wirkte es
jetzt auch ein bisschen traurig. Dann stellte sie eine Frage, die
ihn überraschte.
»Wer war sie?«
»Sie?« Andrej spürte, wie er sich versteifte. »Was … wen
meinst du?«
»Die Frau, die dir das Herz gebrochen hat«, antwortete Urd.
Sie machte Anstalten, sich aus dem Wasser zu ziehen, überlegte
es sich aber anders und ließ sich stattdessen tiefer hineinsinken.
»Bringst du mir mein Kleid?«, bat sie.
Andrej stand auf, holte das Kleid und drehte sich diskret
herum, während sie aus dem Wasser stieg und es überstreifte.
Nach den letzten Augenblicken erschien ihm das albern, aber er
glaubte zu spüren, dass sie es von ihm erwartete, und auch ihm
selbst wäre nicht wohl dabei gewesen, sie jetzt noch einmal
nackt zu sehen. Scham oder andere kindische Gefühle waren dabei nicht im Spiel. Es kam ihm in diesem Moment einfach
richtig vor. Erst als er hörte, dass sie sich in ihrem nassen Kleid
ins Gras setzte, drehte er sich wieder herum und nahm neben ihr
Platz.
Sie saßen eine geraume Weile schweigend nebeneinander,
dicht genug, dass er den intensiven Geruch ihres nassen Haares
spüren konnte, aber ohne sich zu berühren, und sahen einfach
auf den See hinab, dessen Wasser nun wieder so unberührt und
glatt dalag wie ein Spiegel, und schließlich sagte Andrej leise:
»Maria. Ihr Name war Maria.«
»Ein Mädchen aus deiner Heimat?«
»Ja«, antwortete Andrej. »Vielleicht.«
»Vielleicht?«
Andrej hätte lieber nicht darüber gesprochen, aber jetzt, wo er
einmal angefangen hatte, war es, als könne er nicht aufhören.
»Ich weiß nicht einmal genau, woher sie stammte. Du, die du
nicht viel anderes kennst, würdest sagen, aus meiner Heimat,
aber …«
»Ich verstehe«, sagte Urd leise. »Es muss lange her sein.«
Länger, als du dir auch nur vorstellen kannst. Jahrzehnte. So
viele, viele Jahrzehnte.
»Aber du hast sie nicht vergessen«, fuhr sie fort.
Andrej schwieg. Er wollte antworten, irgendetwas, um ihre
Neugier zu befriedigen, doch während er in ihr Gesicht sah,
durchfuhr ihn ein heißer Schrecken, als er sich eingestehen
musste, dass sie recht hatte. Und doch konnte er sich nicht
einmal mehr an Marias Gesicht erinnern. Er sah es zwar vor
sich, lebendig und strahlend und für einen Moment so wirklich,
dass es den Anblick von Urds Antlitz zu überlagern schien. Aber
mit einem Mal war er nicht sicher, ob dieses Bild auch echt war.
Vielleicht hatte die Zeit es verändert. Vielleicht hatte er es verändert, in all diesen endlosen Jahren, in denen er es wie einen
ehernen Schutzschild vor sich hergetragen hatte.
»Sie muss dir sehr wehgetan haben«, sagte Urd. »Was ist
geschehen? Hat sie dich verlassen, oder ist sie gestorben?«
»Sie wurde mir genommen«, antwortete Andrej. Das eisige
Zittern in seiner Stimme erschreckte ihn selbst, aber Urds Blick
wurde weich. Sie schwieg eine geraume Weile und rückte auch
nicht näher, und doch spürte er plötzlich eine Wärme, wie er sie
seit unendlich vielen Jahren nicht mehr empfunden, und ebenso
lange vermisst hatte.
»Der Mann, der sie dir genommen hat – oder die Männer –
leben Sie noch?«, fragte sie.
Auch diesmal antwortete Andrej nicht gleich. Er war verwirrt,
zutiefst verunsichert und erschrocken über seine eigene Reaktion. Wie lange trug er Marias Bild jetzt in sich? Wie oft hatte er
sich geweigert, über sie zu reden, nicht mit Abu Dun, nicht mit
sich selbst und schon gar nicht mit irgendeiner fremden Frau.
Wie stark waren die Mauern gewesen, die er rings um seine
Seele errichtet hatte? Und doch war es diesem Mädchen mit
wenigen, einfachen Worten gelungen, sie einzureißen. Er fühlte
sich hilflos. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Vielleicht. Wahrscheinlich nicht. Es ist lange her.«
Urds Blick wurde für einen Moment forschend, und Andrej
war sich nur zu sehr der Tatsache bewusst, wie wenig seine
Worte zu seinem jugendlichen Äußeren passten. Urd konnte
nicht annehmen, dass er sehr viel älter war als sie oder ihre
Brüder, aber das war er. Jahrhunderte sogar. Vielleicht jedoch
erahnte sie jetzt, in diesem Moment, als sie ihm in die Augen
sah, die Wahrheit. Vielleicht blitzte, flüchtig und kurz, sogar
Furcht in ihrem Blick auf. Doch schon im nächsten Augenblick
hatte sie sich wieder in der Gewalt, und die Wärme kehrte zurück, stärker sogar als zuvor.
»Wenn es wirklich so lange her ist, dann solltest du dir vielleicht erlauben, sie gehen
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