Das Daemonenschiff
von den Knien zu heben. »Die Antwort ist nein, Andrej.«
»Bist du sicher«, fragte er leise. Er war sehr enttäuscht, obwohl er mit der Antwort gerechnet hatte.
»Ich kann nicht mit euch kommen.«
»Mit mir.«
»Mit dir. So sehr ein Teil von mir es auch will. Aber ich kann
hier nicht weg. So wenig, wie du und dein Freund bleiben
könnt.«
»Du könntest es versuchen. Vielleicht für eine Weile. Ein Jahr
– oder vielleicht zwei. Wenn es dir nicht gefällt, bringe ich dich
zurück.«
»Um mir das Paradies zu zeigen, und es mir dann wieder zu
nehmen?« Sie seufzte. »Ich glaube dir, dass deine Welt schöner
ist als unsere. Abu Dun spricht schließlich oft genug davon. Es
ist dort wärmer als hier. Die Sonne scheint heller und viel
länger, und eure Städte sind größer, mit Platz für Tausende und
Dächern aus purem Gold.«
Gegen seinen Willen musste Andrej lächeln. »Das hat Abu
Dun dir erzählt?«, fragte er.
»Stimmt es denn nicht?«
»Doch«, antwortete er. »An manchen Orten schon.«
»Ich würde all diese Wunder gerne sehen. Doch mein Platz ist
hier. Mein Volk braucht mich. Und ich brauche mein Volk.
Warum bleibst du nicht eine Weile hier? Vielleicht nur, bis der
Winter kommt.« Sie lachte. »Den würdet ihr ohnehin nicht
ertragen.«
Andrej schwieg. Möglicherweise war Urds Vorschlag nur eine
gutmütige Revanche für sein eigenes Ansinnen, aber er spürte
auch einen plötzlich stechenden Schmerz. Urd irrte sich. Er
würde den Winter hier ertragen, solange sie nur bei ihm war,
und er zweifelte nicht daran, selbst Abu Dun zum Bleiben
überreden zu können … oder im nächsten Frühjahr zurückzukommen, oder im übernächsten. Aber die Frage war eine andere.
Wenn er bis zum Winter blieb, dann würde er nicht mehr gehen,
nicht mit Einbruch des Winters, nicht im nächsten Frühjahr und
auch nicht in dem darauffolgenden und dem darauf.
Und was spricht dagegen?, flüsterte ihm eine Stimme zu. Urd
war jung, aber was war schon ein Menschenleben? Was hinderte
ihn, eine kleine Weile zu bleiben, zwanzig oder dreißig oder
auch fünfzig Jahre, und erst dann in eine Welt zurückzukehren,
die außer Tod und Gewalt und unendlichem Leid für ihn bisher
nicht viel bereitgehabt hatte? Warum tat er es nicht einfach?
Was hatte er zu verlieren, außer Zeit, von der er mehr als genug
hatte?
Urd stand mit einer so plötzlichen Bewegung auf, dass er
zusammenschrak, und streckte ihm lachend die Hand entgegen,
um ihm auf die Füße zu helfen. »Komm. Es wird Zeit. Ich
möchte nicht zu spät kommen.«
Wie um ihren Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen,
wehte der klagende Ton eines Horns an ihr Ohr. Als Andrej zum
Dorf hinaufsah, stellte er fest, dass die Feuer nicht mehr ganz so
hoch brannten wie noch vor ein paar Augenblicken. Wortlos
folgte er Urd zu einem niedrigen Haus, in dem sie verschwand,
um schon nach wenigen Momenten in einem sauberen weißen
Kleid wieder herauszutreten.
Das Horn rief zum zweiten Mal, als sie sich auf dem kurzen
Weg zum Zentrum des Dorfes machten. Andrej fragte sich im
ersten Moment, wie sie durch die dicht gedrängte Menschenmenge hindurchkommen sollten, die um den Scheiterhaufen
lagerte, aber jeder, der ihrer ansichtig wurde, machte ihnen
respektvoll Platz. Auf den letzten Schritten blieb er zurück,
damit Urd an die Seite ihrer Brüder treten konnte, um ihrem
Vater auf seinem letzten Weg die gebührende Ehre zu erweisen.
Er runzelte flüchtig die Stirn, als er nur Björn und Thure
gewahrte – hatte sie nicht von viel mehr Brüdern gesprochen? –
verfolgte den Gedanken aber nicht weiter. Stattdessen hielt er
nach Abu Dun Ausschau.
Er entdeckte den Nubier am anderen Ende des Platzes, arbeitete sich mit einiger Mühe zu ihm durch und erreichte ihn gerade
in dem Moment, in dem das Klagen des Horns zum dritten Mal
erklang.
Auch die letzten Gespräche verstummten nach und nach, und
ein abschließendes Raunen lief durch die versammelte Menge.
Die Tür des Langhauses wurde geöffnet, und zwei Krieger
traten gemessenen Schrittes heraus, sie trugen brennende
Fackeln in der rechten und Schild und Speer in der linken Hand.
Ihnen folgten vier weitere Männer, auf den Schultern ein
übergroßer Rundschild, auf dem der Leichnam des alten Königs
aufgebahrt war.
Er trug Rüstung und Helm, und jemand hatte seine schmalen
Hände über dem Griff des Schwertes zusammengefaltet, das auf
seiner Brust lag. Er sah aus, als schliefe er. Zwei weitere
Krieger, ebenfalls
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