Das Daemonenschiff
sein.
Urd ging ein wenig schneller, als sie den Steg betraten und sie
nicht mehr ununterbrochen nach rechts und links ausweichen
musste, um nicht mit irgendjemandem zusammenzustoßen, und
Andrej holte mit zwei schnellen Schritten ganz zu ihr auf und
konnte sich im letzten Moment noch bremsen, ihr den Arm um
die Schulter zu legen. Urd würde nichts dagegen haben, und ihr
Bruder auch nicht, doch mit jedem Besucher, der eintraf, war
ihm klarer geworden, dass Thures vermeintliche Großzügigkeit
nicht bei jedem gut angesehen war. Niemand hatte es gewagt, in
seiner Gegenwart eine entsprechende Bemerkung zu machen,
doch ihre Blicke hatten Bände gesprochen. Morgen um diese
Zeit würden Abu Dun und er nicht mehr hier sein, Urd aber
schon.
»Warum so ernst, großer Krieger?«, fragte Urd plötzlich, als
hätte sie seine Gedanken gelesen.
»Da ist etwas, was ich dich fragen muss«, sagte er, wobei er
gegen seinen Willen genau den Ernst in seine Stimme legte,
über den Urd sich gerade lustig gemacht hatte. Ihre Augen
blitzten auch umso spöttischer, doch sie schüttelte den Kopf, als
er fortfahren wollte.
»Warte einen Moment.« Sie hatten das Ende des Steges erreicht, doch Urd verlangsamte nicht ihren Schritt, sondern ging
einfach weiter und verschwand einen halben Atemzug später mit
einem gewaltigen Platschen im Wasser. Eisiger Schaum spritzte
hoch zu Andrej, der entsetzt die Augen aufriss und darauf
wartete, dass sie wieder auftauchte. Doch die Zeit verstrich und
Andrej fror erbärmlich. Schließlich erkannte er zumindest ihre
Silhouette unter den schwarzen Quellen und zwang das besorgte
Gefühl nieder, das sich in ihm breitzumachen begonnen hatte.
Allmählich, schalt er sich selbst, begann er sich wirklich albern
aufzuführen. Nur weil sie eine Sterbliche und viel verwundbarer
war als er, würde ein Bad in eisigem Wasser sie nicht umbringen.
»Also, Andrej«, fragte Urd, nachdem sie zu seinen Füßen
prustend aus dem Wasser aufgetaucht war und das Kinn auf die
Unterarme stützte. »Was gibt es so Wichtiges, was du mich
fragen willst?«
Der Spott in ihren Augen weckte in Andrej den Verdacht, dass
sie bereits wusste, was er sie fragen wollte, aber seine Kehle war
mit einem Male wie zugeschnürt. All die geschliffenen Worte,
die er sich in den letzten Tagen so sorgsam überlegt und
zurechtgelegt hatte, waren einfach weg. Er kam sich vor wie ein
Knabe, der sich in seine Amme verliebt hatte und nicht wusste,
wie er die sonderbaren und verstörenden neuen Gefühle, die er
in sich spürte, in Worte fassen sollte. Statt zu antworten,
druckste er einen Moment hilflos herum und hatte dabei nicht
nur das Gefühl, sich endgültig zum Narren zu machen, sondern
glaubte Urds Spott beinahe körperlich zu spüren.
Schließlich kniete er sich auf den Steg und streckte die Hand
aus, um ihr aus dem Wasser zu helfen. Urd ignorierte die Geste,
stemmte sich mit einer ebenso geschmeidigen wie kraftvollen
Bewegung hoch und nahm in einer getreulichen Nachahmung
seiner eigenen Haltung neben ihm Platz. Dann umschlang sie
die Beine mit den Armen und stützte das Kinn auf die Knie, um
fragend zu ihm aufzublicken.
Das aber machte ihm die Sache nicht leichter. Was wohl auch
nicht in ihrer Absicht lag.
»Also?« fragte sie.
»Ich weiß, dass es der falscheste Moment ist, den ich mir
aussuchen konnte«, begann er unbeholfen. »Aber es ist wahrscheinlich auch der letzte. Morgen früh gehen Abu Dun und ich
von hier fort.«
»Und du glaubst wirklich, dass irgendeiner der Männer morgen früh schon wieder nüchtern genug ist, um sein Schiff zu
finden?« Sie kicherte. »Kaum.«
Andrej zwang sich, ernst zu bleiben. »Wir sind schon lange
unterwegs«, antwortete er. »Abu Dun und ich … nun, wir
müssen wieder in unsere Heimat.«
»Weil ihr dort wichtige Angelegenheiten zu erledigen habt?«,
vermutete Urd. Vielleicht zum allerersten Mal genoss Andrej
den spöttischen Ton in ihrer Stimme nicht, sondern wünschte
sich, sie würde ihn ernst nehmen.
»Auch das«, sagte er und gestand im nächsten Moment kopfschüttelnd: »Nein. Man nennt das Gefühl ganz simpel Heimweh.
Euer Land ist faszinierend, aber es ist nicht unser Land.«
»Du meinst, ihr könntet hier nicht leben.«
»Nicht für immer.«
»Und wie kommst du dann darauf, dass ich bei euch leben
könnte?«
Andrej blinzelte. »Wie?«
»Das wolltest du mich doch fragen, nicht wahr?«, fragte sie.
»Ob ich dich begleite.« Sie schüttelte den Kopf, ohne das Kinn
Weitere Kostenlose Bücher