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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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scheinbar nichts erschüttern konnte, hatte er ihm keine Gefühle
zugebilligt. Aber ganz plötzlich begriff er, dass es tatsächlich
wohl nur die Sorge um seine Familie und sein Volk war, die
Thure dazu brachte, das zu tun, was er eben getan hatte.
Doch das Unbehagen blieb. So sehr er ihn mit einem Male
auch verstand, er spürte immer noch, und jetzt noch deutlicher
als zuvor, dass Thure etwas vor ihm verheimlichte.
»Wir können nicht gegen den Willen deines Bruders hierbleiben. Und auch dein Vater wollte, dass wir gehen.«
»Ja, da hast du wohl recht«, sagte Thure kalt. »Verzeih. Wer
bin ich schon, den Befehl unseres Königs infrage zu stellen.« Er
lachte verächtlich. »Und jetzt entschuldige mich bitte, Andrej
Delãny. Es wartet eine Menge Arbeit auf mich.« Er machte eine
Kopfbewegung zur Tür. »Warum gehst du nicht und suchst nach
meiner Schwester? Geht und amüsiert euch. Zeuge einen Sohn
mit ihr. Wer weiß, vielleicht bleibt uns ja noch genug Zeit, und
er wächst zu einem ebenso großen Krieger heran wie du. Wir
könnten ihn brauchen.«
    Er war nicht gegangen, um nach Urd zu suchen, fand sie aber
trotzdem. Zusammen mit einigen anderen Frauen kam sie gerade
vom Bach zurück, als er die Schmiede verließ, wo sie Wäsche
gewaschen und ein paar Krüge mit frischem Wasser geholt
hatten. Sie zeigte sich erfreut, ihn zu sehen, warf aber auch
einen raschen, beunruhigten Blick auf die Schmiede. Andrej
verdrehte kurz die Augen, schüttelte den Kopf und sie lächelte
befreit. Ohne ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln, schloss sie
sich den anderen Frauen an, die bereits im Langhaus verschwunden waren, und sie sprach ihn auch nicht während des restlichen
und der folgenden Tage ein einziges Mal auf das Gespräch
zwischen ihm und ihrem Bruder an. Aber am folgenden Abend
kam sie wieder zu ihm, und auch an jedem anderen, und wenn
sie noch um ihren Vater trauerte, so verbarg sie es, denn in keiner dieser Nächte beschränkten sie sich wieder darauf, einander
nur in den Armen zu halten.
    Andrej genoss jede Minute dieser Zeit, aber der winzige
Tropfen Bitterkeit, der sich in sein Hochgefühl mischte, wurde
auch mit jedem Tag größer. So berauschend und wunderbar
diese Zeit auch war, so sehr er auch daraus schöpfte, was er
allzu lange vermisst hatte, so fest war auch sein Entschluss, mit
dem ersten Schiff abzureisen, das ablegte, sobald die Trauerfeier
für Harald vorüber war. Es war nicht sein Wille. Er wollte um
nichts auf der Welt von hier fort, aber er würde gehen.
    Er musste es tun, wenn er sich je von dieser Insel losreißen
wollte.
Es war der Abend der Beisetzungsfeier. Andrej hatte das Gefühl, dass auch dieser Tag wieder kürzer gewesen war als die
vorangegangenen, als befände sich die Welt in einem Sturzflug
in eine immerwährende Nacht, in der die Sonne niemals mehr
aufgehen würde. Trotzdem war das kleine Dorf taghell erleuchtet. In jedem Haus brannte Licht, überall prasselten Feuer, die
nicht nur Helligkeit und Wärme verbreiteten, sondern die Luft
auch mit erstickendem Qualm und penetrantem Geruch von nassem Holz erfüllten. Im Zentrum des kleinen Dorfplatzes, dessen
Abmessungen nicht einmal an so manchen Patio heranreichten,
war ein beinahe mannshoher Stapel aus Baumstämmen errichtet
worden. Einige Frauen (Urd war auch unter ihnen, und sie hatte
sein Angebot, ihr zu helfen, prompt mit der spöttischen Bemerkung abgelehnt, er wolle doch nicht etwa Weiberarbeit tun)
stopften sämtliche Ritzen und Hohlräume mit trockenem Reisig
und Wolle aus. Krüge mit Öl standen bereit, und der Junge, der
am ersten Tag so erschrocken vor Andrejs Anblick davongelaufen war (er musste sich eingestehen, dass er nicht einmal seinen
Namen kannte), hatte die Aufgabe übernommen, diejenigen, die
sich dem Scheiterhaufen näherten, genau in Augenschein zu
nehmen und streng darauf zu achten, dass niemand eine Fackel
oder Kerze bei sich trug, damit der Scheiterhaufen nicht etwa
verfrüht in Flammen aufging.
Andrej betrachtete die Vorbereitungen mit gemischten Gefühlen. Den ganzen Tag über hatten auch Abu Dun und er dabei geholfen, im nahen Wald Bäume zu schlagen und die Stämme auf
die passende Länge zu kürzen, während die Frauen und Kinder
Arme voll trockenem Reisig gesammelt hatten. In dem bewaldeten Hang über dem Dorf gähnte jetzt eine Lücke, als hätte ein
mythisches Ungeheuer ein Stück aus dem Wald herausgebissen.
Allzu viele solcher Beisetzungen, hatte Abu Dun spöttisch

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