Das Daemonenschiff
dem Glanz
ringsum. Nicht einmal der Palast eures Papstes in Rom könnte
mit dieser Pracht hier mithalten. Von dem des Kalifen von
Bagdad will ich erst gar nicht sprechen. Die Edelsteine liegen
hier auf der Straße herum. Man muss sich nur danach bücken.«
Tatsächlich beugte er sich ächzend vor, wie um seine Worte zu
beweisen, und hob einen daumennagelgroßen schwarzen Stein
auf, um ihn einen Moment lang nachdenklich in den Fingern zu
drehen und dann hastig und unter Andrejs schadenfrohen
Blicken wieder fallen zu lassen, als er bemerkte, dass es nur die
versteinerte Hinterlassenschaft eines Schafes war. Während er
sich angewidert die Hände an seinem schwarzen Gewand
abwischte, ging er weiter, und der Ernst kehrte in seine Stimme
zurück.
»Nein, Andrej, ist dir wirklich noch nicht aufgefallen, dass
hier etwas nicht stimmt?«
»Die Leute hier sind arm.«
»Das meine ich nicht.«
»Und was sonst?«
Abu Dun blieb wieder stehen und sah ihn ehrlich verblüfft an.
»Wie lange ziehen wir nun schon gemeinsam durch die Welt?«
»Manchmal glaube ich, zu lange«, antwortete Andrej, doch
Abu Dun blieb ernst.
»Und wie viele solcher Städte und Dörfer haben wir schon
gesehen?«
Andrej wusste nicht, worauf der Freund hinauswollte, antwortete diesmal aber ehrlich: »Zu viele.«
»Und wann war das?«, fuhr der Nubier unbeeindruckt fort.
»Vor einem Jahrhundert, oder zwei?«
»Was soll das?«, fragte Andrej.
Abu Dun hörte auf, die Finger an seinem Gewand zu reiben,
und zeigte stattdessen mit großer Geste in die Runde. »Hast du
nicht auch das Gefühl, dass wir in der falschen Zeit sind?«
Statt direkt zu antworten, maß Andrej den riesigen Nubier mit
einem langen, bedeutungsvollen Blick. Abu Dun trug einen
schwarzen Mantel, der seine gewaltige Gestalt vollkommen
verhüllte, dazu passende, schwarze Stiefel und einen ebenfalls
schwarzen Turban. Das Einzige, was nicht tiefschwarz war, war
der Griff seines riesigen Krummsäbels, der dann und wann unter
seinem Mantel aufblitzte. Abu Dun war immer auf diese Weise
gekleidet. Tatsächlich hatte es in all den ungezählten Jahren, die
sie sich nun kannten, kaum einen Tag gegeben, an dem es
anders gewesen wäre. Was Abu Dun über dieses Dorf sagte, das
galt genauso für ihn selbst. Aber er wusste, was der Nubier
meinte, und er musste ihm insgeheim recht geben.
Dann verscheuchte er den Gedanken. »Unsinn. Wir sind schon
in schlimmeren Löchern gewesen, Pirat. Und es ist noch nicht
sehr lange her.«
Der Nubier setzte zu einer heftigen Antwort an, schüttelte
dann jedoch nur den Kopf und murmelte ein Wort in seiner
Muttersprache, das Andrej nicht verstand. Als er weitersprach,
klang er resigniert. »Thure versucht in diesem Moment wahrscheinlich, seine Nachbarn zu überreden, mit ihm in den Krieg
gegen ihre Götter zu ziehen, Andrej. Du weißt, wie solche
Menschen sind. Es würde mich nicht wundern, wenn sie seinen
Kopf auf dem höchsten Schiffsmast aufspießten, den sie finden.
Und unsere gleich dazu, wenn sich herumspricht, wer ihn auf
diese Idee gebracht hat.«
Natürlich hatte Andrej auch schon darüber nachgedacht. Aber
irgendetwas sagte ihm, dass das nicht geschehen würde. Thure
mochte ein undurchsichtiger, ja, verschlagener Mann sein, über
dessen wahre Beweggründe auch er sich noch nicht im Klaren
war, aber eines war er nicht: tollkühn. Und schon gar nicht
dumm.
»Er wird sie überzeugen«, sagte er.
»So, wie er dich überzeugt hat?«
»Mich? Wovon?«
»Dein Leben für ihn zu riskieren«, antwortete Abu Dun und
fügte achselzuckend hinzu: »Und meines, nebenbei bemerkt.«
»Er hat mich von gar nichts überzeugt«, widersprach Andrej
mit einer Heftigkeit, die er selbst nicht verstand. »Das war nicht
nötig.«
»Dann geht es dir um das Mädchen.«
»Ihr Name ist Urd«, sagte Andrej scharf. »Nicht Mädchen. «
»Urd.« Abu Dun blieb ungerührt. Doch plötzlich wurde sein
Blick weich. »Du hast dich wirklich in sie verliebt.«
Ganz instinktiv wollte Andrej die Behauptung empört verneinen, tat es aber dann nicht, als ihm klar wurde, wie albern eine
solche Reaktion gewesen wäre. Warum konnte er nicht einmal
mit Abu Dun, seinem engsten Vertrauten und Freund, über seine
eigenen Gefühle sprechen?
»Dann nimm sie mit.«
»Ich habe sie gefragt«, antwortete Andrej. »Sie will nicht von
hier fort.«
»Bist du sicher?«
Sie wird dich begleiten, wenn ihr Gott es ihr befielt. Andrej
wusste, dass Odin zumindest in diesem Punkt die
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