Das Dampfhaus
einem Zeitungsblatte in der Hand.
»Lesen Sie, Herr Oberst, sagte er. Der Gouverneur beauftragte mich, Ihnen dies vorzulegen.«
Sir Edward Munro las wie folgt:
»Der Gouverneur der Präsidentschaft Bombay bringt hiermit zur Kenntniß der Einwohnerschaft, daß die den Nabab Dandou Pant betreffende Bekanntmachung vom 6. März gegenstandslos geworden ist. Am gestrigen Tage in den Abhängen der Sautpourra-Berge angegriffen, wurde seine Truppe zersprengt und er selbst getödtet. Ueber die Identität der Person herrscht kein Zweifel, da er von Bewohnern Khanpurs und Laknaus wiedererkannt wurde. Dazu fehlte dem Gefallenen ein Finger der linken Hand, und es ist längst erwiesen, daß er sich diesen abnehmen ließ, als er durch seine vorgebliche Beerdigung den Glauben an seinen Tod erwecken wollte. Das indische Reich hat also nichts mehr zu fürchten von den Anschlägen des grausamen Nabab, der ihm so viel Blut gekostet hat.«
Oberst Munro hatte diese Zeilen mit dumpfer Stimme vorgelesen. Das Journal entfiel seinen Händen.
Wir blieben stumm. Das nun unbestreitbare Ableben Nana Sahib’s enthob uns jeder Befürchtung für die Zukunft.
Nach mehreren Minuten des Schweigens strich sich Oberst Munro mit der Hand über die Stirn, als wolle er peinliche Erinnerungen verwischen.
»Wann werden wir von Allahabad abreisen? fragte er darauf.
– Morgen mit Tagesanbruch, antwortete der Ingenieur.
– Können wir einige Stunden in Khanpur anhalten? fuhr Oberst Munro fort.
– Du wolltest…?
– Ja, Banks, ich möchte… ich will Khanpur noch einmal… zum letzten Male wiedersehen!
– In zwei Tagen werden wir da sein, erklärte einfach der Ingenieur.
– Und dann…? fragte Oberst Munro weiter.
– Dann?… wiederholte Banks, dann setzen wir unseren Ausflug nach dem Norden Indiens fort.
– Ja!… nach dem Norden!… nach Norden!« rief auch der Oberst mit einer Stimme, die mir das Herz erzittern machte.
Man hätte wirklich vermuthen können, daß Sir Edward Munro noch immer über den Ausgang des letztgemeldeten Kampfes zwischen Nana Sahib und den englischen Streitkräften einigen Zweifel hegte. Hatte er Recht gegenüber den scheinbar unbestreitbaren Thatsachen?
Die Zukunft sollte uns das lehren.
Zehntes Capitel.
Via dolorosa.
Das Königreich Audh war früher eines der bedeutendsten der Halbinsel und ist noch heute eines der reichsten in ganz Indien. Es besaß verschiedene mächtige und ohnmächtige Herrscher. Die Ohnmacht eines derselben, Wajad Ali Schah’s, ermöglichte am 6. Februar 1857 die Einverleibung seines Reiches in das Territorium der Compagnie. Es geschah das also kaum einige Monate vor dem Ausbruche der Empörung, und diese Gebiete bildeten dann auch den Schauplatz der entsetzlichsten Metzeleien und darauf der furchtbarsten Repressalien.
Zwei Namen von Städten, Laknau und Khanpur, sind seit jener Zeit zu wirklich trauriger Berühmtheit gelangt.
Laknau ist die Hauptstadt, Khanpur einer der wichtigsten Orte des ehemaligen Königreiches.
Nach Khanpur wollte Oberst Munro gehen; und nach einer Fahrt längs des rechten Gangesufers und mitten durch eine weite Ebene voller Indigoplantagen langten wir am Morgen des 29. Mai daselbst an. Zwei Tage über hatte sich der Stahlriese mit einer Durchschnitts-Geschwindigkeit von drei Meilen in der Stunde fortbewegt, wobei wir die zweihundertfünfzig Kilometer von Allahabad nach Khanpur zurücklegten.
Jetzt befanden wir uns tausend Kilometer von Calcutta, unserem Ausgangspunkte.
Khanpur ist eine Stadt von etwa sechzigtausend Seelen. Es bedeckt am rechten Ufer des Ganges einen schmalen Streifen von fünf Meilen Länge. Hier liegt auch eine Garnison von siebentausend Mann.
In der ganzen Stadt würde der Reisende vergeblich ein seiner Aufmerksamkeit würdiges Baudenkmal suchen, obgleich jene sehr alten Ursprungs sein und sogar aus der vorchristlichen Aera herrühren soll. Neugierde hatte uns auch sicherlich nicht nach Khanpur verlockt. Nur der ausgesprochene Wille Sir Edward Munro’s führte uns hierher.
Am 30. Mai frühmorgens verließen wir unseren Halteplatz. Banks, Kapitän Hod und ich folgten dem Oberst und dem Sergeanten Mac Neil auf diesem Schmerzenswege, dessen wichtigste Punkte Sir Edward Munro zum letzten Male besuchen wollte.
Hierzu ist es nöthig, das Folgende zu kennen, was ich nach dem Berichte des Ingenieurs auszugsweise wiedergebe:
»Khanpur, das zur Zeit der Annexion des Königreiches Audh von sehr verläßlichen Truppen bewacht wurde, zählte beim
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