Das Dante-Ritual (German Edition)
auf und kam gemessenen Schrittes auf mich zu.
„Pass auf, was du sagst, Kramer“, drohte ein unsichtbarer Mund. „Deine Zeit ist abgelaufen. Ich hätte dich schon auf der Promenade erledigen sollen.“
Als die Gestalt nur noch einen halben Meter von mir entfernt war, schlug sie mir wie aus dem Nichts brutal ins Gesicht.
Die genähte Wunde auf meiner Wange platzte auf. Nur mit Mühe schluckte ich einen Schmerzensschrei herunter. Ich wollte aufspringen, das Schwein angreifen, doch meine unkoordinierten Bewegungen hatten nur zur Folge, dass ich zur Hälfte vom Stuhl sackte.
Kräftige Hände packten mich unter den Achseln und wuchteten mich zurück. Das Stechen in meinem Rücken ließ mich aufheulen.
„Vorsichtig“, rief der Vermummte am Kamin. „Du spießt noch sein Rückenmark auf.“
„Und?“, knurrte mein Peiniger. „Das hat er sich selbst zuzuschreiben. Warum musste er auch weiter herumschnüffeln?“
Ein zweiter Schlag ins Gesicht folgte. Ich sah, wie mein Hemd sich rot färbte.
„Du feiges Arschloch“, spie ich aus. „Bist du so hässlich, dass du dein Gesicht verstecken musst?“
Schlag Nummer drei ließ meine Nackenwirbel bedrohlich knacken.
„Ach, Kramer, wenn ich doch nur einen Spiegel hätte. Glaub mir, der einzig hässliche Vogel in diesem Raum bist du.“
Er griff nach seiner Kapuze und riss sie sich vom Kopf.
Ich erkannte die harten Züge von Thomas Keller, dem Studenten, der mich in Beekmanns Büro überwältigt hatte. Jetzt wusste ich wenigstens, warum mir die Stimme und die Bewegungen des Angreifers auf der Promenade bekannt vorgekommen waren. Ich versuchte, selbst einen Schlag zu landen, aber der hünenhafte Student trat einen Schritt zurück, und meine lächerlichen Versuche landeten allesamt im Nichts.
Wieder füllte sich der Raum mit dem Grölen der Brüder.
„Was soll das werden, Philip?“, höhnte die Gestalt am Kamin. Sie erhob sich, stolzierte zu mir herüber und zog sich ebenfalls die Kapuze vom Kopf.
Ich senkte den Kopf. „Wenn deine Handlanger dir auf dem Parkplatz der Psychiatrie nicht zur Hilfe gekommen wären, würdest du jetzt nicht den starken Mann markieren, Carsten. Hast du mir die Nadel im Rücken verpasst?“
„Beeindruckend, nicht wahr?“ Carsten Bruns grinste dämonisch. „Schätze, ich werde mal ein guter Chirurg. Was meinst du?“
„Du bist ein Mörder, Carsten.“
„Ach komm schon, Philip. Welchen Dienst hätte dieser sabbernde Jammerlappen der Menschheit denn noch leisten können?“
„Wo ist Eva? Was hast du mit ihr gemacht?“
„Oh, ich bin hier nicht derjenige, der die Befehle gibt. Meine Rolle beschränkt sich auf den vorbereitenden Part. Na ja, abgesehen vom Mord an unserem verehrten Herrn Dekan natürlich.“ Carsten ließ eine theatralische Pause folgen, um mir Zeit zu geben, die Tragweite seiner Worte zu begreifen.
„ Du hast Beekmann getötet? Wieso hast du das getan? Er hat dich unterstützt.“
„Wofür ich ihm auf ewig dankbar sein werde.“ Er lachte auf. „Die Ironie an der Geschichte ist, er hat mich nur ausgewählt, weil er in mir einen leicht zu manipulierenden Jasager sah. Beekmann hat mich wie einen Dienstboten behandelt, Philip. Auf der StuPa-Versammlung hat er mich vor aller Augen gedemütigt. Am Samstag in seinem Haus hat er mir eiskalt ins Gesicht gesagt, dass er einen Pakt mit dir schließen wolle: Er macht dich wieder zum AStA-Vorsitzenden. Ich bin zurück in der Warteschleife.“ Wieder ließ er eine Beifall heischende Pause folgen, bevor er weitersprach. „Glaub mir, Philip, wenn ich nicht schon mit der Absicht gekommen wäre, ihn zu töten - ich hätte mich in diesem Augenblick dazu entschlossen.“
„Das ist doch kein Grund, einen Menschen zu töten.“
„Du musst das globaler sehen, Philip. Hier geht es nicht um persönliche Interessen. Beekmann war uns im Weg, also musste er sterben. So einfach ist das. Thomas Geller hat mir den Brieföffner aus Beekmanns Büro besorgt. Freundlicherweise hattest du ja deine Fingerabdrücke darauf hinterlassen. Das Exemplar aus Beekmanns Haus habe ich nach dem Mord mitgenommen. Thomas hat es dann im Philosophischen Seminar deponiert. Ein simples Austauschmanöver. Und doch so wirksam.“
„Und Frank? War er euch auch im Weg? Und warum habt ihr diesen Journalisten getötet?“
Thomas Gellers Augen leuchteten vor Stolz. „Ein geiles Gefühl, das kann ich dir sagen.“
Die Gleichgültigkeit, mit der die beiden Studenten ihre Taten beschrieben, ja geradezu mit
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