Das Darwin-Virus
beiden Erwachsenen gegeben. Und wie sich dann herausstellte, hatten die Leute in Innsbruck schon Proben an Maria Konig in demselben Institut geschickt. Wendell konnte die Ergebnisse vergleichen.«
»Und was haben sie festgestellt?«, wollte Kaye wissen. »Die drei Leichen waren tatsächlich eine Familie. Mutter, Vater, Tochter.
Aber das wusste ich schon – ich habe alle drei in der Höhle in den Alpen gesehen.«
Kaye runzelte verwundert die Stirn. »Ich kann mich an die Geschichte erinnern. Sie sind auf den Wunsch von zwei Bekannten hin in die Höhle gegangen … haben die Fundstätte beschädigt …
und die Frau, die bei Ihnen war, hat das Kind im Rucksack mitgenommen?«
Mitch blickte mit angespannten Kiefermuskeln zur Seite. »Ich kann Ihnen erzählen, wie es wirklich war«, sagte er.
»Schon gut«, sagte Kaye, plötzlich misstrauisch geworden.
»Nur zur Klarstellung«, beharrte Mitch. »Wenn wir weitermachen wollen, müssen wir einander trauen.«
»Dann erzählen Sie weiter«, sagte Kaye.
Mitch schilderte die Ereignisse in Kurzform. »Es war ein einziges Durcheinander«, schloss er.
Dicken sah die beiden mit verschränkten Armen aufmerksam an.
Kaye nutzte die Pause und überflog die auf dem Tisch ausgebreiteten Analyseergebnisse. Dabei achtete sie darauf, dass die Papiere keine Flecken von altem Ketchup bekamen. Sie studierte die Radiokarbondatierung, den Vergleich der genetischen Marker und schließlich Packers positiven SHEVANachweis.
»Packer behauptet, SHEVA habe sich in den letzten fünfzehntausend Jahren kaum verändert«, sagte Mitch. »Er findet das erstaunlich, wenn es nur DNASchrott ist.«
»Schrott ist es wohl kaum«, erwiderte Kaye. »Die Gene sind seit bis zu dreißig Millionen Jahren gleich geblieben. Sie werden ständig aufgefrischt, überprüft, konserviert … eingeschlossen im dicht gepackten Chromatin, geschützt von einer Isolierschicht … es muss so sein.«
»Wenn Sie beide Nachsicht mit mir haben, sage ich Ihnen, was ich glaube«, sagte Mitch mit einem Hauch von Wagemut und Schüchternheit, den Kaye verwirrend und zugleich reizvoll fand.
»Nur zu«, sagte sie.
»Es war ein Fall von Unterartenbildung. Nichts Extremes. Kleiner Anstoß in Richtung einer neuen Varietät. Ein Säugling des modernen Typus, zur Welt gebracht von Neandertalern im Spätstadium.«
»Eher wie wir«, warf Kaye ein.
»Richtig. Vor ein paar Wochen war ein Journalist namens Oliver Merton im Staat Washington. Er recherchiert wegen der Mumien und hat mir erzählt, es habe an der Universität Innsbruck heftigen Streit gegeben …« Mitch blickte auf und sah, wie überrascht Kaye war.
»Oliver Merton?«, fragte sie mit gerunzelter Stirn. »Im Auftrag von Nature ?«
»Damals beim Economist «, erwiderte Mitch.
Kaye wandte sich zu Dicken. »Derselbe?«
»Allerdings. Er macht Wissenschaftsjournalismus und ein bisschen politische Berichterstattung. Hat ein oder zwei Bücher geschrieben.« Er erklärte es Mitch: »Merton hat auf einer Pressekonferenz in Baltimore ganz schön Staub aufgewirbelt. Er ist ziemlich tief in die Beziehungen zwischen Americol, den CDC und der ganzen SHEVAFrage eingedrungen.«
»Vielleicht sind das zwei verschiedene Geschichten«, meinte Mitch.
»Eigentlich muss es so ein, oder?«, fragte Kaye und blickte zwischen den beiden Männern hin und her. »Die Einzigen, die einen Zusammenhang hergestellt haben, sind doch wir, stimmt’s?«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Dicken. »Weiter, Mitch.
Nehmen wir mal an, dass es einen Zusammenhang gibt, und zanken wir uns nicht über Außenstehende. Worüber haben sie in Innsbruck gestritten?«
»Merton sagt, sie hätten die Verwandtschaft zwischen dem Säugling und den Erwachsenen nachgewiesen – das bestätigt auch Packer.«
»Es ist schon witzig«, sagte Dicken. »Die UN haben auch die Proben aus Gordi an Konigs Labor geschickt.«
»Die Anthropologen in Innsbruck sind ziemlich konservativ«, fuhr Mitch fort. »Und dann stoßen ausgerechnet sie auf den ersten direkten Beleg für Artbildung bei Menschen …« Er schüttelte mitfühlend den Kopf. »Ich an ihrer Stelle hätte Angst. Die geltende Lehre verändert sich nicht nur – sie geht regelrecht in die Brüche.
Ohne Gradualismus keine moderne darwinistische Synthese.«
»So radikal brauchen wir gar nicht zu werden«, sagte Dicken.
»Zunächst einmal wird schon seit langem viel über Unterbrechungen bei den Fossilfunden geredet – Jahrmillionen langer Stillstand, dann
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