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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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lauter Theorien schwindelig ist?«
    »Genau«, sagte Mitch.
    Kaye hatte sich bemüht, ihn nicht anzusehen. Was sie empfand, war weder wissenschaftlicher noch beruflicher Natur. Ihre Gedanken niederzuschreiben, war nicht einfach. So hatte sie noch nie gearbeitet, nicht einmal mit Saul; sie hatten gemeinsame Notizbücher geführt, aber keiner hatte die unfertigen Notizen des anderen gesehen.
    Durch den Wein war sie etwas lockerer geworden; die Anspannung war zum Teil gewichen, aber der Klarheit ihrer Gedanken diente es nicht. Sie kam nicht mehr weiter. Bisher hatte sie geschrieben:

    Populationen als riesige Netzwerke aus Einheiten, die untereinander sowohl konkurrieren als auch kooperieren, und das manchmal sogar gleichzeitig. Alle möglichen Indizien für Kommunikation zwischen den Individuen in Populationen. Bäume kommunizieren durch chemische Substanzen. Menschen nutzen die Pheromone.
    Bakterien tauschen Plasmide und lysogene Phagen aus.

    Kaye sah zu Dicken hinüber, der ununterbrochen schrieb und ganze Absätze durchstrich. Er erschien etwas zu umständlich, ja, aber offensichtlich stark, motiviert und gebildet; attraktive Eigenschaften.
    Als Nächstes schrieb sie:

    Jedes Ökosystem ist ein Netzwerk aus Arten, die kooperieren und konkurrieren. Pheromone und andere Substanzen können Artgrenzen überwinden. Ein solches Netzwerk kann die gleichen Merkmale haben wie ein Gehirn; das menschliche Gehirn ist ein Netzwerk aus Neuronen. In jedem ausreichend komplizierten, funktionsfähigen Neuronennetzwerk ist kreatives Denken möglich.

    »Sehen wir uns mal an, was wir bisher haben«, sagte Mitch. Sie tauschten die Notizblöcke aus. Kay las, was Mitch geschrieben hatte:
    Signalmoleküle und Viren tragen Informationen von Mensch zu Mensch. Ein einzelner Mensch sammelt die Information als Lebenserfahrung; aber handelt es sich um eine lamarckistische Evolution?
    »Ich glaube, dieser Netzwerkkram macht das Ganze noch verwirrender«, sagte Mitch.
    Jetzt las Kaye die Aufzeichnungen von Dicken. »Alles in der Natur funktioniert so«, sagte sie. Dicken hatte den größten Teil der Seite durchgestrichen. Geblieben war:

    War mein Leben lang hinter Krankheiten her; SHEVA verursacht komplizierte biologische Veränderungen, ganz anders als alle Erreger, die man bisher kennt. Warum? Was hat es davon? Was ist sein Ziel? Wie sieht das Ergebnis aus? Wenn es alle zehntausend oder hunderttausend Jahre wieder auftaucht, wie können wir dann behaupten, es sei überhaupt ein eigenständiges organisches Gebilde und nichts anderes als ein Krankheitserreger?

    »Wer kauft uns ab, dass alles in der Natur wie die Neuronen im Gehirn funktioniert?«, fragte Mitch.
    »Es beantwortet Ihre Frage«, erwiderte Kaye. »Haben wir es mit einer lamarckistischen Evolution zu tun, also mit der Vererbung von Merkmalen, die ein Individuum erworben hat? Nein. Es ist das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen in einem Netzwerk, aus denen Gedanken als emergente Eigenschaften erwachsen.«
    Mitch schüttelte den Kopf. »Emergente Eigenschaften verwirren mich.«
    Kaye sah ihn einen Augenblick lang an. Sie fühlte sich herausgefordert und war zugleich verärgert. »Wir brauchen weder Selbstwahrnehmung noch bewusstes Denken zu postulieren. Auch ohne so etwas kann ein strukturiertes Netzwerk auf seine Umwelt ansprechen und Urteile darüber abgeben, wie seine einzelnen Knoten aussehen sollten«, sagte sie.
    »Klingt für mich immer noch nach einem Deus ex machina«, erwiderte Mitch mit mürrischem Gesicht.
    »Sehen Sie, Bäume geben chemische Signale ab, wenn sie von Käfern angegriffen werden. Die Signale locken andere Insekten an, und die fressen die angreifenden Käfer. Der Baum ruft sozusagen den Kammerjäger. Das Prinzip funktioniert auf allen Ebenen – im Ökosystem, in einer Spezies, sogar in einer Gesellschaft. Jedes Lebewesen ist ein Netzwerk aus einzelnen Zellen. Jede Spezies ist ein Netzwerk aus einzelnen Lebewesen. Jedes Ökosystem ist ein Netzwerk aus Arten. Alle interagieren und kommunizieren auf diese oder jene Art miteinander – durch Konkurrenz, RäuberBeuteBeziehungen, Kooperation. Alle diese Wechselbeziehungen ähneln den Neurotransmittern, die im Gehirn die Synapsen überwinden, oder den Ameisen, die in ihrem Staat kommunizieren.
    Auf der Grundlage solcher Interaktionen ändert der ganze Ameisenstaat sein Verhalten. Bei uns ist es genauso, und die Grundlage sind dabei die Wechselwirkungen zwischen den Neuronen. Das Gleiche gilt für die übrige

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