Das Darwin-Virus
Kaye.«
»Hallihallo, Kaye.« Er wollte sie nicht abwimmeln; sie hörte sich zwar bedrückt an, aber für Dicken war es ein beunruhigendes Vergnügen, ihre Stimme zu hören, ganz gleich, wie der Tonfall war.
»Ich habe die Sache diesmal wirklich gründlich vermasselt«, sagte Kaye.
»Wie kommt’s?« Dicken winkte Scarry zu, der sich noch im pathologischen Labor befand. Scarry schwenkte ungeduldig die Arme.
»Ich bin mit Robert Jackson zusammengerasselt … in einer Unterhaltung mit ihm und Marge. Ich konnte mich einfach nicht mehr zurückhalten und habe ihnen gesagt, was ich denke.«
»Oh«, antwortete Dicken und verzog das Gesicht. »Wie haben sie reagiert?«
»Jackson hat es lächerlich gemacht und mich dann mit Verachtung gestraft.«
»Arroganter Idiot«, sagte Dicken. »Dafür habe ich ihn schon immer gehalten.«
»Er sagt, wir brauchen, was Herpes betrifft, Belege.«
»Genau die suchen Scarry und ich gerade. Wir haben hier ein Unfallopfer im Labor. Eine Prostituierte aus Washington, D. C.
und schwanger. Test auf Herpes labialis positiv, ebenso auf Hepatitis A, HIV und SHEVA. Kein schönes Leben.«
Der junge Techniker packte missmutig sein Werkzeug zusammen und verließ den Raum.
»Marge will den Franzosen mit der Pille danach Paroli bieten.«
»Mist«, sagte Dicken.
»Wir müssen uns beeilen.«
»Ich weiß nicht, wie schnell wir vorankommen. Tote junge Frauen mit der richtigen Krankheitsmischung kommen nicht jeden Tag von der Straße hereingeflogen.«
»Ich glaube, Jackson lässt sich auch durch noch so viele Befunde nicht überzeugen. Ich bin bald mit meinem Latein am Ende, Christopher.«
»Ich hoffe, Jackson geht nicht zu Augustine. Wir sind noch nicht so weit, und meinetwegen ist Mark jetzt schon dünnhäutig.
Kaye, Scarry tanzt hier schon im Labor herum. Ich muss weitermachen. Halten Sie die Ohren steif. Und rufen Sie mich an.«
»Haben Sie mit Mitch gesprochen?«
»Nein«, sagte Dicken wahrheitsgemäß, allerdings war es nicht die ganze Wahrheit. »Rufen Sie mich später im Büro an. Kaye –
ich bin immer für Sie da. Ich tue alles, um Sie zu unterstützen.
Das meine ich ehrlich.«
»Danke, Christopher.«
Dicken legte auf und blieb einen Augenblick lang stehen. Er fühlte sich wie ein Dummkopf. Mit solchen Empfindungen war er noch nie gut zurechtgekommen. Die Arbeit war sein Ein und Alles geworden, weil andere wichtige Dinge zu schmerzlich waren.
»Nicht sonderlich geschickt in solchen Dingen, wie?«, sagte er leise zu sich selbst.
Scarry klopfte verärgert an die Glasscheibe zwischen Labor und Geräteraum.
Dicken schob die Gesichtsmaske hoch und zog ein Paar neue Latexhandschuhe an.
50
Baltimore
15. April
Mitch stand mit den Händen in den Hosentaschen im Eingangsbereich des Appartementhauses. Er hatte sich heute Morgen vor dem langen Spiegel im Gemeinschaftswaschraum des YMCA sehr sorgfältig rasiert, und erst vor einer Woche hatte er sich beim Friseur die Haare stylen – oder eher bändigen – lassen.
Seine Jeans waren ganz neu. Er hatte in seinem Koffer gewühlt und einen schwarzen Blazer hervorgekramt. Seit über einem Jahr war er nicht mehr darauf aus gewesen, mit seiner Kleidung Eindruck zu schinden, aber jetzt wollte er genau das; er konnte kaum noch an etwas anderes denken als an Kaye Lang.
Der Pförtner war keineswegs beeindruckt. Er stützte sich auf seinen Tresen und beobachtete Mitch aus den Augenwinkeln. Als das Telefon in der Pförtnerloge klingelte, nahm er ab.
»Gehen Sie rauf«, sagte er gleich darauf und deutete in Richtung des Aufzuges. »Zwanzigster Stock, 2011. Melden Sie sich oben beim Wachmann. Harter Brocken.«
Mitch bedankte sich und betrat den Aufzug. Als die Tür sich schloss, fragte er sich einen ängstlichen Augenblick lang, was er eigentlich vorhatte. Emotionale Verwicklungen waren das Letzte, was er in dem ganzen Durcheinander gebrauchen konnte. Aber wenn es um Frauen ging, wurde Mitch von geheimen Kräften gesteuert, die ihm weder ihre eigentlichen Ziele noch ihre kurzfristigen Pläne offen legen wollten. Diese geheimen Kräfte hatten ihm schon eine Menge Kummer bereitet.
Er schloss die Augen, atmete tief durch und schickte sich in die nächsten Stunden, komme was da wolle.
Als er den Aufzug im zwanzigsten Stock verließ, sah er Kaye, die sich mit einem Mann im grauen Anzug unterhielt. Er hatte kurze dunkle Haare, ein breites Gesicht und eine Hakennase. Der Mann hatte Mitch schon entdeckt, bevor dieser die beiden gesehen hatte.
Kaye
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