Das Darwin-Virus
zusammenbraute – es war das unangenehme Bewusstsein, dass sie sich in einer gefährlichen Stimmung befand. Immer noch war sie wie betäubt von der Schießerei, die sie zwei Tage zuvor an den NIH miterlebt hatte.
»Laura, du siehst aber gar nicht glücklich aus«, sagte Cross mit einem Seitenblick auf Kaye. Sie würde sich Kayes Klagen bis zum Schluss aufsparen.
»Ein Erdbeben nach dem anderen«, erwiderte Nilson. »Aber wenigstens musste ich nicht miterleben, was Kaye durchgemacht hat.«
»Schrecklich«, stimmte Cross zu. »Es ist ein ganzes Fass voller Würmer. Aber was für Würmer sind es?«
»Wir haben eigene Umfragen in Auftrag gegeben. Psychologische Profile, kulturelle Profile, quer durch den Gemüsegarten. Ich habe jeden Pfennig ausgegeben, den Sie mir zur Verfügung gestellt haben, Marge.«
»Zur Absicherung«, sagte Cross, und Jackson warf gleichzeitig ein: »Beängstigend.«
»Ja, nun ja, man könnte davon noch eine PerkinElmerMaschine kaufen, mehr nicht«, sagte Nilson abwehrend. »Sechzig Prozent der verheirateten oder sonst wie betroffenen Männer unter den Befragten glauben den Presseberichten nicht. Sie sind überzeugt, dass eine Frau Sex haben muss, um zum zweiten Mal schwanger zu werden. Wir stoßen da auf eine Mauer der Ablehnung und des Leugnens, sogar bei den Frauen. Vierzig Prozent aller verheirateten oder anderweitig betroffenen Frauen sagen, sie würden einen HerodesFetus abtreiben.«
»Das erzählen sie in den Umfragen«, murmelte Cross. »Sie würden sicher in großer Zahl den Weg des geringsten Widerstandes gehen. RU-486 hat sich bewährt, und seine Wirkung ist erwiesen.
Es könnte zum Hausmittel der Verzweifelten werden.«
»Aber es ist kein vorbeugendes Mittel«, sagte Jackson nervös.
»Von denen, die keine Abtreibungspille nehmen würden, sagt über die Hälfte, die Regierung wolle dem ganzen Land und vielleicht der ganzen Welt die allgemeine Abtreibung aufzwingen«, erklärte Nilson. »Wer den Namen ›Herodes-Grippe‹ auch erfunden hat, er hat die Situation mit Sicherheit noch verschärft.«
»Der stammt von Augustine«, sagte Cross. »Marge, uns steht eine große gesellschaftliche Katastrophe bevor: Unwissen in Verbindung mit Sex und toten Babys. Wenn viele SHEVAinfizierte Frauen mit ihren Partnern keinen Sex mehr haben – und dennoch schwanger werden –, werden wir nach Aussagen unserer Sozialwissenschaftler noch mehr Gewalt in der Ehe erleben, und die Zahl der Abtreibungen wird auch bei normalen Schwangerschaften gewaltig ansteigen.«
»Es gibt noch andere Möglichkeiten«, warf Kaye ein. »Die Folgen habe ich mit eigenen Augen gesehen.«
»Weiter«, forderte Cross sie auf.
»Die Fälle in den Neunzigerjahren im Kaukasus. Massenmord.«
»Auch mit denen habe ich mich befasst«, sagte Nilson eifrig und blätterte in ihren Notizen. »Eigentlich wissen wir bis heute nicht viel darüber. SHEVA ist in der örtlichen Bevölkerung aufgetaucht …«
Kaye unterbrach sie. »Es ist viel zu kompliziert, als dass irgendjemand von uns es begreifen könnte«, sagte sie mit versagender Stimme. »Wir haben es hier nicht mit einem Krankheitsprofil zu tun, sondern mit der horizontalen Übertragung genetischer Anweisungen, und die Folge ist eine Übergangsphase.«
»Noch mal bitte. Ich verstehe nicht ganz«, sagte Nilson.
»SHEVA ist kein Krankheitserreger.«
»Quatsch«, erklärte Jackson erstaunt. Marge brachte ihn mit einer warnenden Handbewegung zum Schweigen.
»Wir ziehen immer noch Mauern um das Thema, aber jetzt halte ich es nicht mehr aus, Marge. Die Taskforce hat diese Möglichkeit von Anfang an geleugnet.«
»Ich weiß nicht, was da geleugnet wird«, entgegnete Cross, »Bitte in Kurzform, Kaye.«
»Wir sehen ein Virus, sogar eines, das aus uns selbst kommt, und nehmen an, es sei eine Krankheit. Wir betrachten alles unter Krankheitsgesichtspunkten.«
»Ich habe noch nie ein Virus kennen gelernt, das keine Probleme verursacht, Kaye«, sagte Jackson mit zusammengekniffenen Augen. Wenn er sie warnen wollte, dass sie sich auf sehr dünnes Eis begab, verfehlte er diesmal seine Wirkung.
»Wir haben die Wahrheit ständig vor Augen, aber sie passt nicht zu unseren primitiven Vorstellungen von der Wirkungsweise der Natur.«
»Primitiv?«, sagte Jackson. »Erzählen Sie das mal dem Pockenvirus.«
»Wenn uns das hier in dreißig Jahren zugestoßen wäre«, beharrte Kaye, »wären wir vielleicht darauf vorbereitet gewesen – aber bisher benehmen wir uns wie dumme kleine
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