Das Darwin-Virus
sagte Kaye. Wieder einmal stand sie nur einen Schritt von ihm entfernt. »Bei Americol arbeite ich die meiste Zeit in den Labors für HERV- und Genomforschung. Wir wollen herausfinden, ob noch andere endogene Viren außer SHEVA sich ausprägen können und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Es wundert mich ein bisschen, dass Christopher …«
Mitch blickte auf und unterbrach sie. »Ich bin nach Baltimore gekommen, weil ich Sie … weil ich dich sehen wollte«, erklärte er.
»Oh«, erwiderte Kaye leise.
»Ich muss immer noch an den Abend im Zoo denken.«
»Der kommt mir jetzt ziemlich unwirklich vor.«
»Mir nicht.«
»Ich glaube, Marge will mich für die Pressekonferenzen von der Besetzungsliste streichen«, sagte Kaye in dem widersinnigen Versuch, das Thema zu wechseln – oder vielleicht wollte sie auch nur wissen, ob er den Themenwechsel zulassen würde. »Sie will mich aus der Rolle der Sprecherin verdrängen. Ich werde einige Zeit brauchen, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Ehrlich gesagt, bin ich ganz froh, dass ich nicht mehr so im Blick der Öffentlichkeit stehe. Es wird ein …«
Er unterbrach sie. »In San Diego hast du bei mir eine ziemliche Wirkung hinterlassen.«
»Wie schön«, sagte Kaye und wandte sich halb um, als wolle sie weglaufen. Sie lief aber nicht, sondern ging um den Tisch herum und blieb auf der anderen Seite, wieder nur einen Schritt von ihm entfernt, stehen.
»Pheromone«, sagte Mitch und stellte sich in voller Größe neben sie. »Ich lege großen Wert darauf, wie jemand riecht. Du trägst kein Parfüm.«
»Ich trage nie eines«, erwiderte Kaye.
»Das hast du auch nicht nötig.«
»Schluss jetzt«, sagte Kaye und trat erneut einen Schritt zurück.
Sie hob die Hände und sah ihn mit zusammengekniffenen Lippen durchdringend an. »Ich bin zurzeit leicht zu verwirren, und ich muss meine Gedanken zusammenhalten.«
»Du musst dich entspannen«, sagte Mitch.
»Deine Nähe ist alles andere als entspannend.«
»Du weißt nicht genau, was du willst.«
»Mit Sicherheit weiß ich nicht genau, was ich mit dir will.«
Er streckte die Hand aus. »Willst du erst mal an meiner Hand riechen?«
Kaye lachte.
Mitch schnupperte an seiner Handfläche. »Seife. Taxitüren. Ich habe seit Jahren kein Loch mehr gebuddelt. Die Schwielen werden immer weicher. Ich bin arbeitslos, habe Schulden und stehe in dem Ruf, ein verrückter, moralisch verkommener Fiesling zu sein.«
»Sei nicht so streng mit dir. Ich habe deine Artikel und ein paar alte Zeitungsberichte gelesen. Du machst anderen nichts vor, und du lügst nicht. Dir liegt an der Wahrheit.«
»Ich fühle mich geschmeichelt«, erwiderte Mitch.
»Und du bringst mich durcheinander. Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll. Du bist ganz anders als mein Mann.«
»Ist das gut?«, fragte Mitch.
Kaye sah ihn prüfend an. »Bisher schon.«
»Es wäre üblich, die Sache langsam angehen zu lassen. Gehst du mit mir essen?«
»Zahlt jeder selbst?«
»Es geht auf meine Spesenrechnung«, sagte Mitch sarkastisch.
»Karl müsste mitkommen. Er muss mit dem Restaurant einverstanden sein. Meistens esse ich hier oben oder in der Kantine von Americol.«
»Belauscht Karl deine Gespräche?«
»Nein.«
»Der Pförtner sagt, er sei ein harter Brocken.«
»Ich bin immer noch eine Art Gefangene«, sagte Kaye. »Es gefällt mir zwar nicht, aber so ist es nun einmal. Essen wir lieber hier. Später, wenn der Regen aufgehört hat, können wir zum Dachgarten hinaufgehen. Ich habe ein paar wirklich gute Vorspeisen im Gefrierschrank. Die stammen aus einem Laden unten in der Einkaufspassage. Ein Beutel Salat ist auch noch da. Ich kann gut kochen, wenn ich Zeit habe, aber das war schon lange nicht mehr der Fall.« Sie ging wieder in die Küche.
Mitch folgte ihr und betrachtete dabei die übrigen Bilder an den Wänden, die weniger auffälligen in den billigen Rahmen, die sie vermutlich selbst zur Einrichtung beigesteuert hatte. Kleine Drucke von Maxfield Parrish, Edmund Dulac und Arthur Rackham; Familienfotos. Bilder ihres verstorbenen Mannes konnte er nirgendwo entdecken. Vielleicht hatte sie die im Schlafzimmer.
»Irgendwann möchte ich gern mal für dich kochen«, sagte Mitch. »Mit einem Campingkocher kann ich ganz gut umgehen.«
»Wein? Zum Essen?«
»Den kann ich jetzt brauchen«, sagte Mitch. »Ich bin ganz schön nervös.«
»Ich auch«, erwiderte Kaye und hielt die Hände vor sich, um es ihm zu zeigen. Sie zitterten. »Hast du auf alle Frauen so
Weitere Kostenlose Bücher