Das Darwin-Virus
fügte Miller hinzu: »Ich glaube, ich kann euch helfen, wenn ihr wollt.«
»Danke, Drew. Vielleicht kommen wir darauf zurück«, sagte Kaye, »aber im Augenblick wollen wir uns lieber allein damit vergnügen.«
Miller zuckte viel sagend die Achseln, tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und ging wieder zum anderen Ende des Tisches. Dort griff er nach einer weiteren Gebäckstange und begann eine andere Unterhaltung.
Im Flugzeug nach La Guardia ließ Saul sich in seinen Sitz fallen.
»Drew hat keine Ahnung, keine Ahnung.«
Kaye blickte von ihrem Bordmagazin auf.
»Wovon?« fragte sie. »Mir schien er ziemlich auf der richtigen Spur zu sein.«
»Wenn ich oder irgendein anderer in der Biologie von einer Art Intelligenz hinter der Evolution reden würde …«
»Ach so«, sagte Kaye mit gespieltem Schaudern. »Der Vitalismus, das alte Ungeheuer.«
»Wenn Drew von Intelligenz oder Geist redet, meint er damit natürlich kein bewusstes Denken.«
»Nein?«, fragte Kaye, genüsslich müde und satt von den Nudeln. Sie schob das Magazin in die Tasche unter dem Klapptisch und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. »Was meint er dann?«
»Du hast dich doch schon mit ökologischen Netzwerken befasst.«
»Nicht meine originellsten Arbeiten«, sagte Kaye. »Und was können wir damit voraussagen?«
»Vielleicht gar nichts«, erwiderte Saul, »aber es bringt eine nützliche Ordnung in meine Gedanken. Die Knoten oder Neuronen in einem Netzwerk führen zu neuronalen Netzmustern, führen die Ergebnisse jeder Netzwerktätigkeit per Rückkopplung wieder zu den Knoten, das führt für jeden Knoten und insbesondere für das ganze Netz zu gesteigerter Effizienz.«
»Na dann ist ja alles klar«, sagte Kaye und verzog ungehalten das Gesicht.
Saul wiegte den Kopf und erkannte ihre Kritik an. »Du bist klüger, als ich es je sein werde, Kaye Lang«, sagte er. Sie beobachtete ihn genau und sah nur das, was sie an ihm bewunderte. Die Ideen hatten Besitz von ihm ergriffen; es ging ihm nicht um die Zuschreibung, sondern nur um das Erkennen einer neuen Wahrheit.
Ihr Blick verschwamm, und mit fast schmerzlicher Heftigkeit fiel ihr ein, welche Gefühle Saul in ihrem ersten gemeinsamen Jahr in ihr geweckt hatte. Er hatte sie angespornt, ermutigt und fast zum Wahnsinn getrieben, bis sie sich endlich klar ausdrückte und den ganzen Bogen eines Gedankens, einer Hypothese begriff. »Sag’ es ganz klar, Kaye. Genau das kannst du gut.«
»Na ja …« Kaye runzelte die Stirn. »So funktioniert das menschliche Gehirn, oder eine Spezies, oder von mir aus auch ein Ökosystem. Und es ist auch die grundlegende Definition des Denkens.
Neuronen tauschen Unmengen von Signalen aus. Die Signale können sich addieren oder subtrahieren, einander aufheben oder zusammenwirken und zu einer Entscheidung gelangen. Sie vollziehen die fundamentalen Tätigkeiten der Natur: Kooperation und Konkurrenz; Symbiose, Parasitismus, Räuberei. Nervenzellen sind Knoten im Gehirn, und Gene sind Knoten im Genom – sie konkurrieren und kooperieren, um sich in die nächste Generation fortzupflanzen. Individuen sind Knoten in einer Spezies, und Spezies sind Knoten in einem Ökosystem.«
Saul kratzte sich am Kinn und sah sie voller Stolz an.
Kaye erhob warnend den Finger. »Die Kreationisten werden aus ihren Löchern kommen und krähen, wir redeten endlich von Gott.«
»Wir haben alle unser Päckchen zu tragen«, seufzte Saul.
»Miller hat gesagt, SHEVA würde die Rückkopplungsschleife für einzelne Lebewesen schließen – das heißt, für einzelne Menschen. Dann wäre SHEVA eine Art Neurotransmitter«, sagte Kaye grübelnd.
Saul rückte näher zu ihr, und seine Hände waren eifrig damit beschäftigt, eine Fülle von Ideen zu beschreiben. »Werden wir mal ein bisschen genauer. Menschen arbeiten zu ihrem Vorteil zusammen und bilden eine Gesellschaft. Sie treten sexuell und chemisch in Austausch, aber auch sozial – durch Sprache, Schrift, Kultur. Moleküle und Meme. Dass Duftstoffe – Pheromone – das Verhalten beeinflussen, wissen wir. Frauengruppen bekommen zur gleichen Zeit die Periode. Männer meiden Stühle, auf denen andere Männer gesessen haben, und Frauen fühlen sich genau von diesen Stühlen angezogen. Wir verfeinern nur die Signale, die ausgesandt werden können, die Art der Nachrichten und ihre Übertragungsmechanismen. Jetzt haben wir den Verdacht, dass unsere Körper auch endogene Viren austauschen können, genau wie Bakterien. Ist das eigentlich so
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