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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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verwunderlich?«
    Kaye hatte Saul bisher nichts von ihrem Gespräch mit Judith erzählt. Sie wollte sich die Pointe jetzt noch nicht verderben, vor allem weil man bisher erst so wenig wusste, aber es musste bald geschehen. Sie richtete sich in ihrem Sitz auf. »Und was ist, wenn SHEVA mehrere Ziele verfolgt?«, schlug sie vor. »Könnte es sein, dass es schädliche Nebenwirkungen hat?«
    »In der Natur kann alles schief gehen«, sagte Saul.
    »Und wenn es schon schief gegangen ist? Wenn es fälschlich exprimiert wird, seinen eigentlichen Zweck völlig verloren hat und uns nur noch krank macht?«
    »Durchaus möglich«, erwiderte Saul in einem Ton, der auf höfliches Desinteresse schließen ließ. Seine Gedanken kreisten immer noch um die Evolution. »Ich glaube wirklich, wir sollten kommende Woche daran arbeiten und einen neuen Artikel schreiben.
    Das Material ist fast fertig – wir sollten die ganzen spekulativen Grundlagen abdecken, ein paar Leute aus Cold Spring Harbor und Santa Barbara hinzuziehen – vielleicht sogar Miller. Ein Angebot von jemandem wie Drew lehnt man nicht einfach ab. Auch mit Jay Niles sollten wir sprechen. Damit wir ein wirklich handfestes Fundament legen. Sollen wir weitermachen, unsere Karten auf den Tisch legen, die Evolution angehen?«
    In Wirklichkeit fürchtete Kaye sich vor diesem Gedanken. Es schien gefährlich, und sie wollte Judith mehr Zeit lassen, die Aktivität von SHEVA zu untersuchen. Genauer gesagt, stand das Thema in keinem Zusammenhang mit ihrem Kerngeschäft, dem Aufspüren neuer Antibiotika.
    »Ich bin jetzt zu müde zum Nachdenken«, sagte Kaye. »Frag’
    mich morgen noch mal.«
    Saul seufzte glücklich. »So viele Fragen, so wenig Zeit.«
    Kaye hatte Saul seit Jahren nicht so energiegeladen und zufrieden erlebt. Er trommelte mit den Fingern in schnellem Rhythmus auf die Armlehne und summte leise vor sich hin.
16
    Innsbruck
    Sam, Mitchs Vater, traf seinen Sohn in der Eingangshalle des Krankenhauses. Mitch hatte seine Reisetasche gepackt, das Bein steckte in einem klobigen Gipsverband. Die Operation war gut verlaufen, vor zwei Tagen hatte man die Nägel entfernt, und das Bein heilte planmäßig. Er wurde entlassen.
    Sam stützte Mitch auf dem Weg zum Parkplatz und trug ihm die Tasche. Sie schoben den Beifahrersitz des gemieteten Opel ganz nach hinten. Mitch bugsierte das Bein ein wenig beschwerlich schräg hinein, und dann chauffierte sein Vater ihn durch den dünnen Verkehr des späten Vormittags. Sams unsteter Blick schoss nervös in alle Richtungen.
    »Das ist gar nichts im Vergleich zu Wien«, bemerkte Mitch.
    »Ja, na gut, aber ich weiß nicht, wie Ausländer hier behandelt werden. Ich nehme an, nicht so schlecht wie in Mexico City«, sagte Sam. Mitchs Vater hatte störrische braune Haare und ein stark geflecktes, breites, irisches Gesicht, das scheinbar jeden Augenblick zu lächeln beginnen konnte. In Wirklichkeit lächelte Sam selten, und seine grauen Augen hatten etwas Hartes, das Mitch nie zu ergründen vermocht hatte.
    Mitch hatte am Rand von Innsbruck eine Zweizimmerwohnung gemietet, in der er aber seit dem Unfall nicht mehr gewesen war.
    Sam zündete sich eine Zigarette an und rauchte eilig, während sie die Betontreppe zur zweiten Etage hochstiegen.
    »Mit dem Bein kommst du ja ganz gut zurecht«, sagte Sam.
    »Es bleibt mir kaum etwas anderes übrig«, erwiderte Mitch.
    Sam half ihm, um die Ecke zu kommen und wieder sicher auf den Krücken zu stehen. Mitch kramte den Schlüssel heraus und schloss die Tür auf. Die kleine Wohnung mit der niedrigen Decke und den nackten Betonwänden war seit Wochen nicht geheizt worden. Mitch zwängte sich in das Badezimmer und erkannte, dass er sein Geschäft aus einer gewissen schrägen Höhe erledigen musste: Der Gips passte nicht zwischen Toilette und Wand.
    »Ich muss wohl zielen lernen«, sagte er zu seinem Vater, als er wieder herauskam. Sam musste grinsen.
    »Nimm dir das nächste Mal ein größeres Bad. Raumsparwunder, aber sauber.« Sam steckte die Hände in die Hosentasche.
    »Deine Mutter und ich gehen davon aus, dass du nach Hause kommst. Es wäre uns lieb.«
    »Vermutlich werde ich das tun, jedenfalls eine Zeit lang«, sagte Mitch. »Ich fühle mich ein bisschen wie ein geprügelter Hund, Daddy.«
    »Quatsch«, murmelte Sam. »Dich hat nie jemand geprügelt.«
    Mitch sah seinen Vater mit mattem Gesichtsausdruck an, wirbelte dann auf den Krücken herum und betrachtete den Goldfisch, den Tilde ihm vor Monaten

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