Das Darwin-Virus
angestellt habe. Wir setzen heute Abend in der Firma eine Besprechung mit den Arbeitsgruppenleitern an. Bestell Pizza. Und ein Fässchen Bier.« Er machte einen heldenhaften Versuch zu lächeln.
»Wir brauchen eine Rückzugsposition, und zwar schnell«, sagte er.
»Ich werde nachsehen, wie die neuen Arbeiten laufen«, sagte Kaye. Sie wussten beide, dass Gewinne aus den derzeitigen Projekten einschließlich der BacteriocinForschung noch mindestens ein Jahr auf sich warten lassen würden. »Wie schnell werden wir …«
»Lass das meine Sorge sein«, fiel Saul ihr ins Wort. Er schlich sich mit einer krebsartigen Bewegung zu ihr, wackelte mit den Schultern und machte sich über sich selbst lustig, wie nur er es konnte. Dann umarmte er sie mit einem Arm und ließ das Gesicht auf ihre Schulter sinken. Sie streichelte seinen Kopf.
»Ich finde es furchtbar«, sagte er. »Ich finde es ganz, ganz furchtbar, wenn ich so bin.«
»Du bist sehr stark, Saul«, flüsterte Kaye ihm ins Ohr.
»Du bist meine Stärke«, sagte er, schob sie weg und rieb sich die Wange wie ein kleiner Junge, der gerade geküsst worden ist. »Ich liebe dich mehr als mein Leben, Kaye, und das weißt du. Mach’
dir meinetwegen keine Sorgen.«
Einen kurzen Augenblick lang lag eine einsame, urtümliche Wildheit in seinem Blick, als sei er in die Enge getrieben und könne sich nirgendwo verstecken. Dann war es vorüber, seine Schultern sanken herab, und er zuckte die Achseln.
»Es geht mir gut, Kaye. Wir werden es schon schaffen. Ich muss nur ein paar Telefonate führen.«
Debra Kim war eine schlanke Frau mit breitem Gesicht und einem dichten Schopf schwarzer Haare. Sie war Eurasierin und neigte dazu, auf stille Weise ihre Autorität geltend zu machen. Mit Kaye kam sie sehr gut aus, aber gegenüber Saul und den meisten anderen Männern war sie reizbar.
Kim leitete das CholeraQuarantänelabor bei EcoBacter mit einer eisernen Hand, die im Samthandschuh steckte. Ihr Labor, das zweitgrößte der ganzen Firma, arbeitete nach der biologischen Sicherheitsstufe 3, aber damit sollten eher Kims übersensible Mäuse als die Angestellten geschützt werden, auch wenn mit Cholera nicht zu spaßen war. Für ihre Forschung benutzte sie die schwer immungeschädigten SCIDMäuse, deren Immunsystem gentechnisch ausgeschaltet war.
Kim führte Kaye durch das Arbeitszimmer im äußeren Bereich des Labors und bot ihr eine Tasse Tee an. Sie unterhielten sich ein paar Minuten über Nebensächliches und blickten dabei durch eine Acrylglasscheibe auf die an einer Wand aufgereihten sterilen Spezialbehälter aus Kunststoff und Edelstahl mit den darin herumwuselnden Mäusen.
Kim wollte ein wirksames, auf Phagen aufbauendes Therapieverfahren für Cholera finden. Den SCIDMäusen hatte man menschliches Darmgewebe eingepflanzt, das sie nicht abstoßen konnten.
Damit wurden sie zu kleinen Modellen für eine Cholerainfektion beim Menschen. Das Projekt hatte schon mehrere hunderttausend Dollar gekostet und nur magere Ergebnisse gebracht, aber noch ließ Saul es weiterlaufen.
»Nicki im Personalbüro sagt, wir haben vielleicht noch drei Monate«, sagte Kim ohne Vorwarnung. Sie setzte ihre Tasse ab und sah Kim mit gezwungenem Lächeln an. »Stimmt das?«
»Wahrscheinlich«, sagte Kaye. »Drei oder vier. Es sei denn, wir kriegen die Partnerschaft mit dem Eliava-Institut unter Dach und Fach. Das hätte so viel Reiz, dass wir neues Kapital auftreiben könnten.«
»Scheiße«, sagte Kim. »Ich habe letzte Woche ein Angebot von Procter and Gamble abgelehnt.«
»Ich hoffe, du hast noch nicht alle Brücken abgebrochen«, erwiderte Kaye.
Kim schüttelte den Kopf. »Ich bin gern hier, Kaye. Mit dir und Saul würde ich lieber weiterarbeiten als mit jedem anderen. Aber ich werde nicht jünger und habe noch ein paar ziemlich ehrgeizige Projekte im Kopf.«
»Das haben wir alle«, sagte Kaye.
»Ich bin ziemlich dicht davor, eine zweigleisige Therapie zu entwickeln.« Kim ging zum Acrylfenster. »Ich habe die genetische Verbindung zwischen Endotoxinen und Adhesinen gefunden. Die cholerae- Zellen heften sich an unsere kleinen Darmschleimhautzellen und machen sie besoffen. Dagegen wehrt sich der Körper, indem er die Schleimhaut abstößt. Reiswasserstuhl. Ich kann einen Phagen mit einem Gen herstellen, das bei den Cholerabakterien die Pilinproduktion abschaltet. Dann stellen sie zwar noch das Toxin her, aber nicht die Pili, und deshalb können sie sich nicht mehr an die Schleimhautzellen
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