Das Darwin-Virus
leer.
»So etwas ist mir nicht ganz neu«, grübelte Kaye leise. Sie ballte die Fäuste, um dann leicht und nervös mit den Knöcheln auf die Tischplatte zu klopfen. »Wollen Sie behaupten, dass SHEVA ein Teil unserer Evolution ist? Dass wir dabei sind, eine neue Art von Menschen hervorzubringen?«
Dicken sah Kaye prüfend an, registrierte die Mischung aus Staunen und Erregung in ihrem Gesicht, das seltsame Entsetzen, das einen überwältigt, wenn man auf die geistige Entsprechung zu einem wütenden Tiger stößt. »Ich würde nicht wagen, es so krass zu formulieren. Aber vielleicht bin ich ein Feigling. Vielleicht ist es wirklich so ähnlich. Ich schätze Ihre Meinung sehr. Jetzt kann ich weiß Gott eine Verbündete gebrauchen.«
Kaye schlug das Herz bis zum Hals. Sie griff nach ihrer Kaffeetasse, und die kalte Brühe schwappte. »Mein Gott, Christopher.«
Sie gab ein leises, hilfloses Lachen von sich. »Und wenn es stimmt?
Wenn wir alle schwanger sind? Die ganze Menschheit?«
Teil 2
SHEVA-
Frühling
36
Im Osten des Staates Washington
Breit und träge glitt der Columbia River wie plattgewalzte polierte Jade zwischen den schwarzen Basaltwänden dahin.
Mitch bog von der Staatsstraße 14 ab, fuhr einen knappen Kilometer auf einem Erd- und Schotterweg zwischen Buschwerk und kleinen Bäumen hindurch und kam schließlich an ein verbogenes, rostiges Metallschild mit der Aufschrift EISENHÖHLE.
Nur wenige Meter vom Rand der Schlucht entfernt glänzten zwei alte Aluminiumwohnwagen in der Sonne. Um sie herum standen hölzerne Bänke und Tische, auf denen sich Jutesäcke und Grabwerkzeuge stapelten. Er parkte den Wagen am Straßenrand.
An seinem FilzStetson zerrte ein kühler Wind. Er griff mit einer Hand nach dem Hut, ging vom Auto zu der Felskante und blickte fünfzehn Meter tief auf Eileen Rippers Lager hinab.
Aus der Tür des am nächsten stehenden Wohnwagens trat eine kleine, junge Frau mit blonden Haaren, ausgefransten, verblichenen Jeans und einer braunen Lederjacke. In der feuchten Luft am Fluss stieg ihm sofort ihr Duft in die Nase: Opium, Trouble oder ein ähnliches Parfüm. Sie hatte eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Tilde.
Die Frau blieb unter dem Vordach des Wagens stehen, trat dann vor und schützte die Augen mit der Hand vor der Sonne.
»Mitch Rafelson?«, fragte sie.
»Genau der. Ist Eileen da unten?«
»Ja. Wissen Sie, es löst sich alles auf.«
»Seit wann?«
»Seit drei Tagen. Eileen hat sich wirklich Mühe gegeben, ihre Position zu vertreten, aber langfristig hat es nicht viel genützt.«
Mitch grinste verständnisvoll. »Das kenne ich«, sagte er.
»Die Frau von den Fünf Stämmen hat vorgestern ihre Sachen gepackt. Deshalb fand Eileen es jetzt in Ordnung, dass Sie herkommen. Es spielt niemand mehr verrückt, wenn Sie auftauchen.«
»Schön, wenn man so beliebt ist«, sagte Mitch und tippte sich an den Hut.
Die Frau lächelte. »Eileen ist am Boden zerstört. Machen Sie ihr ein bisschen Mut. Für mich sind Sie ein Held. Außer was diese Mumien angeht, vielleicht.«
»Wo ist sie?«
»Gleich unterhalb der Höhle.«
Oliver Merton saß im Schatten des größten Zeltdaches auf einem Klappstuhl. Er war etwa dreißig, hatte leuchtend rote Haare, eine kurze Himmelfahrtsnase und ein breites, blasses Gesicht, das jetzt den Ausdruck völliger, fast fanatischer Konzentration zeigte. Während er mit den beiden Zeigefingern die Tastatur seines Laptops bearbeitete, zog er die Lippen zurück.
Adler-Suchsystem, dachte Mitch, ein Autodidakt im Tippen. Prüfend betrachtete er die Kleidung des Mannes, die an einer Grabungsstätte eindeutig deplatziert wirkte: Tweedhose, rote Hosenträger, weißes LeinenBusinesshemd mit gestreiftem Kragen.
Merton blickte erst auf, als Mitch schon fast unter dem Zeltdach stand.
»Mitchell Rafelson! Wie schön!« Merton schob den Computer auf den Tisch, sprang auf und streckte ihm die Hand hin. »Verdammt düster hier. Eileen ist oben an der Böschung bei den Grabungen. Sie will Ihnen sicher guten Tag sagen. Gehen wir?«
Die sechs anderen Mitarbeiter, alles junge Praktikanten oder Doktoranden, blickten neugierig auf, als die beiden Männer an ihnen vorübergingen. Merton kletterte vor Mitch über die natürlichen Terrassen, die der Fluss in Jahrhunderten der Erosion geschaffen hatte. Zwanzig Meter unterhalb der Klippe, wo die alte, moderige Höhle eine frei liegende Basaltschicht unterbrach, machten sie eine Pause. Oberhalb des zutage tretenden Gesteins und
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