Das Darwin-Virus
Objektivität bewahren.
Merton wandte sich an Mitch. »Haben Sie das Baby gesehen?«
Mettons Augen verengten sich, als Mitch sich ruckartig in seinem Stuhl aufrichtete. »Nicht genau«, sagte er. »Ich habe nur gedacht, als sie sagten, es sei ein Jetztmenschenkind, dass …«
»Könnte es sein, dass die Neandertalermerkmale in den Zügen eines Säuglings noch nicht ausgeprägt sind?«, wollte Merton wissen.
»Nein«, sagte Mitch und fügte augenzwinkernd hinzu: »Jedenfalls glaube ich es nicht.«
»Das glaube ich auch nicht«, stimmte Ripper zu. Die Studenten waren eng herangerückt, um nichts zu verpassen. Das Feuer knackte, zischte und streckte lange gelbe Arme aus, die nach dem kalten, lautlosen Himmel griffen. Der Fluss klatschte auf die Uferkiesel, es klang so, als lecke ein mechanischer Spielzeughund an einer Hand. Mitch spürte, wie der Sekt ihn nach der langen, anstrengenden Autofahrt allmählich beruhigte.
»Nun ja, es mag wenig plausibel klingen, aber es ist immer noch einfacher als einen genetischen Zusammenhang zu bestreiten«, sagte Merton. »Die Leute in Innsbruck müssen mehr oder weniger einräumen, dass die Frau und der Säugling verwandt sind. Aber es sind recht schwer wiegende Anomalien vorhanden, die niemand erklären kann. Ich hatte gehofft, Mitchell würde mir die Erleuchtung verschaffen.«
Es blieb Mitch erspart, Unkenntnis vorzutäuschen, denn vom oberen Rand der Klippe hörte man die kräftige Stimme einer Frau.
»Eileen? Bist du da? Hier ist Sue Champion.«
»Mist«, sagte Ripper, »ich dachte, sie wäre längst wieder in Kumash.« Sie legte die Hände um den Mund und rief nach oben:
»Wir sind hier unten, Sue, und schon halb betrunken. Willst du zu uns kommen?«
Ein Student lief mit einer Taschenlampe den schmalen Weg die Klippe hinauf. Sue Champion kam hinter ihm herunter zum Zelt.
»Hübsches Feuer«, bemerkte sie. Die schlanke, fast schon dünne und über einen Meter achtzig große Frau, deren lange schwarze Haare in einem Zopf über die Schulter ihrer braunen Cordjacke fielen, wirkte klug, chic und ein wenig befangen. Sie schien gern zu lächeln, aber jetzt war ihr Gesicht von Müdigkeit gezeichnet.
Mitch blickte zu Ripper hinüber und sah das Unbehagen in ihrem Gesichtsausdruck.
»Ich bin hier, um zu sagen, dass es mir Leid tut«, erklärte Champion.
»Es tut uns allen Leid«, erwiderte Ripper.
»Seid ihr den ganzen Abend hier draußen gewesen? Es ist kalt.«
»Wir sind pflichtbewusst.«
Champion umrundete das Zeltdach und trat nahe ans Feuer.
»Mein Büro hat deinen Anruf wegen der Testergebnisse entgegengenommen. Der Vorsitzende des Treuhändergremiums nimmt dir den Befund nicht ab.«
»Daran kann ich nichts ändern«, sagte Ripper. »Warum bis du plötzlich abgehauen und hast mir deinen Anwalt auf den Hals gehetzt? Ich dachte, wir hätten eine Abmachung – im Falle, dass es sich um Indianer handelt, wollten wir eine grundlegende Untersuchung mit einem Minimum an Eingriffen vornehmen und sie anschließend den Fünf Stämmen übergeben.«
»Wir haben in unserer Wachsamkeit nachgelassen. Nach dem Durcheinander wegen des Pasco-Menschen waren wir erschöpft.
Es war falsch.« Wieder sah sie Mitch an. »Ich kenne Sie.«
»Mitch Rafelson«, sagte er und hielt ihr die Hand hin.
Champion nahm sie nicht. »Sie haben uns ganz schön auf Trab gehalten, Mitch Rafelson.«
»Das gleiche Gefühl habe ich auch«, sagte Mitch.
Champion zuckte die Achseln. »Unsere Leute haben entgegen ihren tiefsten Empfindungen nachgegeben. Wir fühlten uns überfahren. Wir brauchen die Leute in Olympia, und das letzte Mal haben wir sie verärgert. Die Treuhänder haben mich hierher geschickt, weil ich eine Ausbildung in Anthropologie habe. Ich habe meine Sache nicht besonders gut gemacht. Jetzt sind alle sauer.«
»Können wir noch irgendetwas außergerichtlich tun?«, fragte Ripper.
»Der Vorsitzende hat mir gesagt, Wissen sei es nicht wert, dass man dafür die Toten stört. Du hättest den Schmerz bei der Versammlung sehen sollen, als ich die Untersuchungen beschrieben habe.«
»Ich dachte, wir hätten das ganze Verfahren erklärt«, sagte Ripper.
»Überall stört ihr die Toten. Wir fordern nur, dass ihr unsere Toten in Ruhe lasst.«
Die Frauen starrten einander traurig an.
»Es sind nicht eure Toten, Sue«, sagte Ripper mit Tränen in den Augen. »Sie gehören nicht zu eurem Volk.«
»Der Rat ist der Ansicht, dass das NAGPRA trotzdem gilt.«
Ripper hob die Hand. »Dann können
Weitere Kostenlose Bücher