Das Dekameron
gehörte und ganz nahe an dem Hause seiner Dame war.
Nicht eher aber wollte er sonstwohin gehen, bis er nicht vor ihrem Hause gewesen war und sie zu sehen versucht hatte. Er fand indes Türen und Fenster und alles verschlossen und besorgte, sie möchte ausgezogen oder gar gestorben sein. Nachdenklich hierüber wandte er sich nach der Wohnung seiner Brüder und fand sie daselbst alle vier in Trauerkleidern vor der Tür sitzen. Da ihn dies sehr verwunderte und da ihm bekannt war, seine Gestalt und seine Tracht seien gegen die, welche man vor seiner Abreise an ihm gewohnt war, so verändert, daß er nicht leicht wiedererkannt werden könne, trat er dreist auf einen Schuhmacher zu und fragte ihn, weshalb jene schwarz gingen. Der Schuster antwortete ihm: »Sie gehen schwarz, weil es noch nicht vierzehn Tage her ist, daß einer ihrer Brüder, der lange fort gewesen war und Tedaldo hieß, ermordet worden ist. Und wenn mir recht ist, so habe ich gehört, sie hätten vor Gericht bewiesen, daß einer namens Aldobrandino Palermini, der auch gefangen sitzt, ihn umgebracht habe, weil jener seiner Frau gut und, um bei ihr sein zu können, unerkannt heimgekehrt war.« Tedaldo verwunderte sich ausnehmend, wie jemand ihm so sehr gleichen sollte, daß er für ihn gehalten worden sei, und bedauerte das Unglück des Aldobrandino.
Nachdem er nun noch erfahren hatte, seine Dame sei gesund und am Leben, kehrte er, als es schon Nacht geworden war, den Kopf voll mancherlei Gedanken, in die Herberge zurück. Er aß mit seinem Diener zu Abend, und dann wurde ihm im obersten Stockwerk des Hauses ein Schlafkämmerchen angewiesen. Teils der vielen Gedanken, teils des schlechten Bettes wegen, vielleicht auch weil das Abendessen sehr mager gewesen war, konnte er, als schon die halbe Nacht vorüber war, immer noch nicht einschlafen. Wie er nun so wachte, glaubte er vom Dach her Leute in das Haus einsteigen zu hören, und gleich darauf sah er durch die Ritzen der Kammertür ein Licht die Treppe heraufkommen. Er stand leise auf und legte das Auge an die Spalte, um zu sehen, was das bedeuten solle. Da sah er, wie ein recht hübsches junges Mädchen das Licht in den Händen hielt und wie drei Männer, die vom Dach heruntergestiegen waren, auf es zukamen. Nachdem sie sich bewillkommnet hatten, sagte der eine: »Gottlob, nun können wir ruhig sein; denn wir wissen bestimmt, daß der Mord des Tedaldo Elisei von dessen Brüdern dem Aldobrandino Palermini bewiesen und von diesem eingestanden, das Urteil auch schon ausgefertigt ist. Das hindert aber nicht, daß wir noch ferner schweigen müssen; denn erführe man jemals, daß wir es gewesen sind, so hätten wir dasselbe zu befürchten, was jetzt dem Aldobrandino bevorsteht.« Nach diesen Worten, über die das Mädchen die größte Freude bezeigte, stiegen sie die Treppe hinunter und gingen schlafen.
Tedaldo aber war bei dem, was er gehört hatte, aufmerksam darauf geworden, wie vielfach und groß die Irrtümer sind, denen der menschliche Verstand ausgesetzt ist. Zuerst dachte er daran, wie seine Brüder einen Fremden statt seiner beweint und begraben und wie sie dann des irrigen Verdachts wegen einen Unschuldigen angeklagt und durch falsche Zeugen dessen bevorstehenden Tod herbeigeführt hätten. Ferner aber dachte er der blinden Strenge der Gesetze und der Richter, welche im Eifer, die Wahrheit zu erforschen, sich oft so verhärten, daß sie sich das Falsche beweisen lassen und, während sie sich Diener Gottes und der Gerechtigkeit nennen, in der Tat der Unbilligkeit und des Teufels Schergen sind. Zuletzt aber richtete er seine Gedanken darauf, wie er den Aldobrandino retten könne, und beschloß, was er zu diesem Zwecke tun wollte.
Als er am ändern Morgen aufgestanden war, ließ er seinen Diener zurück und ging, sobald es ihm Zeit schien, allein zum Hause seiner Dame. Zufällig fand er die Tür offen, und wie er eintrat, sah er in einem Vorsaal zu ebener Erde die Dame auf dem Boden in tausend Tränen und großer Traurigkeit sitzen. Fast hätte er selbst vor Mitleid geweint. Er trat aber zu ihr und sagte: »Madonna, härmt Euch nicht, der Trost ist nahe.« Als die Dame diese Worte hörte, hob sie das Gesicht und sagte weinend: »Guter Freund, du scheinst mir ein fremder Pilger; was weißt du von Trost und von meiner Betrübnis?« »Madonna«, erwiderte darauf der Pilger, »ich bin aus Konstantinopel und eben erst angelangt, von Gott hierher gesandt, um Eure Tränen in Lachen zu verwandeln und Euren
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