Das Dekameron
Mann vom Tode zu befreien.« »Wie«, sagte die Dame, »bist du aus Konstantinopel und trafst erst eben hier ein, wie kannst du wissen, wer ich bin und wer mein Mann ist?« Der Pilger begann nun die ganze Geschichte von Aldobrandinos Mißgeschicken von Anfang an zu erzählen und sagte ihr auch ihren eigenen Namen, wie lange sie verheiratet sei und eine Menge anderer, ihm wohlbekannter Umstände, die sie betrafen.
Die Dame wunderte sich sehr darüber, hielt ihn für einen Propheten, warf sich vor ihm auf die Knie und bat ihn um Gottes willen, wenn er zu Aldobrandinos Rettung gekommen sei, möge er sie beschleunigen, denn die Zeit sei kurz. Der Pilger, der sich als besonders frommer Mann gebärdete, sagte: »Madonna, stehet auf und weinet nicht. Merkt vielmehr auf das, was ich Euch sagen werde. Hütet Euch aber wohl, jemand etwas davon wiederzusagen. Soviel Gott mir offenbart hat, ist die Trübsal, welche Ihr erduldet, Euch um einer Sünde willen auferlegt worden, für die Gott Euch zum Teil durch diese Eure Mißgeschicke hat bestrafen wollen und die Ihr im übrigen vollständig abbüßen müßt, wollt Ihr nicht in ein noch größeres Unglück verfallen.«
Darauf sagte die Dame: »Lieber Herr, ich habe der Sünden viele begangen und weiß nicht, welche es ist, von der Gott vorzugsweise verlangt, daß ich sie abbüßen soll. Darum sagt mir's, wenn Ihr es wißt, und ich will tun, was ich vermag, um die Buße zu vollenden.« »Madonna«, erwiderte der Pilger, »ich weiß gar wohl, was für eine Sünde es ist, und fragte Euch nicht, um es von Euch besser zu erfahren, sondern nur um Eure Gewissensbisse durch Euer Bekenntnis zu vermehren. Doch ich will zur Sache kommen. Sagt mir, erinnert Ihr Euch, jemals einen Liebhaber gehabt zu haben?«
Als die Dame dies hörte, seufzte sie tief auf und verwunderte sich sehr; denn sie glaubte nicht, daß jemand etwas von dieser Liebe erfahren hätte, obwohl dergleichen Reden sich in den Tagen, wo der vermeintliche Tedaldo ermordet worden war, in der Stadt verbreitet hatten, weil Tedaldos Vertrauter, der um das Geheimnis wußte, einige unvorsichtige Worte hatte fallen lassen. Sie erwiderte: »Wahrlich, ich sehe, daß Gott Euch die Geheimnisse der Menschen offenbart, und so bin ich denn auch nicht gesinnt, Euch die meinigen vorzuenthalten. Es ist wahr, ich habe in meiner Jugend den Unglücklichen, dessen Tod meinem Gatten zur Last gelegt wird, zärtlich geliebt und habe auch jetzt meinem Schmerze über diesen seinen Tod freien Lauf gelassen. Denn so streng und unfreundlich ich mich auch vor seiner Abreise gegen ihn erwies, so haben doch weder die Trennung noch die lange Abwesenheit, noch selbst sein unglücklicher Tod sein Bild in meinem Herzen vertilgen können.«
Der Pilger entgegnete hierauf: »Nicht den unglücklichen Jüngling, der jüngst getötet ward, habt Ihr je geliebt, sondern Tedaldo Elisei. Sagt mir aber, was war der Grund, um dessentwillen Ihr Euch gegen ihn erzürntet? Beleidigte er Euch denn jemals?« »Nein«, sagte die Dame, »beleidigt hat er mich wahrlich nie. Meine Entfremdung wurde durch die Worte eines vermaledeiten Pfaffen veranlaßt, bei dem ich einmal zur Beichte ging. Denn als ich ihm von meiner Liebe zu Tedaldo und von unserer Vertraulichkeit erzählte, machte er mir einen Lärm und ein Aufhebens, daß ich mich noch davor fürchte. Er sagte mir, wenn ich das nicht sein ließe, führe ich in den Abgrund der Hölle und in die Feuerqualen, dem Teufel in den Rachen. Darüber erschrak ich nun so sehr, daß ich mich fest entschloß, die Vertraulichkeit Tedaldos nicht mehr zu leiden, und um der Versuchung zu entgehen, wollte ich auch keine Botschaft und keinen Brief mehr von ihm annehmen. Freilich vermute ich, daß ich meinen harten Entschluß aufgegeben hätte, wenn er ausgeharrt hätte, statt verzweifelt davonzugehen und sich zu verzehren; trage ich doch zu nichts in der Welt so großes Verlangen wie zu ihm.«
Der Pilger sagte darauf: »Madonna, dies ist die einzige Sünde, um deretwillen Ihr Trübsal erleidet. Ich weiß gewiß, daß Euch Tedaldo auf keine Weise zur Liebe gezwungen hat. Als Ihr ihn liebgewannet, tatet Ihr es aus freien Stücken, weil er Euch wohlgefiel. Dann kam er, Eurem eigenen Willen gemäß, zu Euch, und Ihr erzeigtet ihm in Eurem weiteren Umgang in Worten und Taten so viel Freundlichkeit, daß, wenn er Euch schon früher liebhatte, seine Liebe sich nun wohl tausendfach vermehrte. Verhielt es sich nun so - und ich weiß, daß es sich so
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