Das Dekameron
Geheimnisse anvertrauen, Keuschheit bewahren, geduldig sein, Beleidigungen vergeben und des üblen Leumundes sich enthalten - lauter gute, schöne und fromme Sachen; aber warum soll man so handeln? Darum, daß sie tun können, was ihnen nicht gewährt würde, wenn die Laien ebenso täten. Wem ist unbekannt, daß die Faulenzerei ohne Geld nicht bestehen kann? Gibst du nun selbst das Geld zu deinem Vergnügen aus, so wird der Pfaffe in seinem Kloster nicht faulenzen können. Bist du nicht geduldig und vergibst du nicht Beleidigungen, so wird sich der Mönch nicht in dein Haus wagen, um die Ehre deiner Familie anzutasten. Wozu soll ich erst alles ausführen? Gewiß, sooft sie diese Entschuldigungen Vorbringen, klagen sie im Auge der Verständigen sich dadurch an. Warum bleiben sie nicht zu Hause und in der Welt, wenn sie sich für unfähig halten, heilig und enthaltsam zu leben? Wollen sie sich aber einmal dem geistlichen Stande widmen, warum befolgen sie dann nicht das heilige Wort des Evangeliums: >Jesus fing an Gutes zu tun und dann zu lehren Mögen sie denn erst tun und dann andere belehren. Ich habe in meinem Leben gewiß tausend gesehen, die den Hof machen, sich verlieben und nicht nur weltliche, sondern auch Klosterfrauen besuchen und dabei auf der Kanzel gerade den ärgsten Lärm machen. Solchen Menschen sollten wir nachleben? Nun, wer Lust hat, der mag es tun. Gott weiß aber, ob er wohl daran tut.
Aber auch angenommen, der Mönch, der Euch schalt, habe recht gehabt, wenn er sagte, die eheliche Treue zu brechen sei eine sehr große Sünde - so frage ich, ob jemand zu bestehlen nicht eine viel größere ist? Ob es nicht eine viel größere Sünde ist, ihn zu töten oder ihn voller Jammer in die Welt hinauszustoßen? Das wird gewiß ein jeder zugeben. Der vertrauliche Umgang eines Mannes und einer Frau ist eine naturgemäße Sünde; aber Rauben, Töten und Verjagen entspringen aus der Bösartigkeit des Gemüts. Daß Ihr den Tedaldo beraubtet, wenn Ihr Euch, die Ihr freiwillig sein geworden wäret, ihm wieder entzöget, ist Euch schon oben einleuchtend gemacht worden. Dann sage ich aber, daß Ihr ihn mordetet; denn an Euch, die Ihr Euch immer grausamer gegen ihn bezeigtet, hat es nicht gelegen, wenn er sich nicht mit eigenen Händen umgebracht hat. Die Gesetze aber bestimmen, daß, wer an einem geschehenen Übel schuld ist, demjenigen gleichsteht, der es durch seine eigene Tat vollbracht hat. Daß Ihr ferner an seinem Exil und seinem siebenjährigen unglücklichen Umherirren schuld seid, das läßt sich gar nicht leugnen. Und so habt Ihr denn in einem jeden dieser drei Fälle eine viel größere Sünde begangen, als indem Ihr ihm Euren Umgang gewährtet.
Aber verdiente nicht vielleicht Tedaldo eine solche Behandlung? Gewiß, er verdiente sie nicht. Ihr selbst habt das schon gestanden, und ich weiß auch außerdem, daß er Euch mehr als sich selbst liebte. Niemals ist ein Gegenstand so geehrt, erhoben und gefeiert worden, wie er es, vorzugsweise vor allen ändern Damen, mit Euch tat, wenn der Ort es ihm erlaubte, frei und ohne Verdacht zu wecken, von Euch zu reden. Sein ganzes Glück, seine Ehre, seine Freiheit waren allein in Eure Hände gegeben. War er nicht ein adeliger Jüngling? War er nicht schön vor anderen seinesgleichen? War er nicht wacker in allem, was für junge Leute sich ziemt? War er nicht geliebt, hielt man ihn nicht wert, sah ihn nicht jedermann gerne? Auch hierauf werdet Ihr mir nicht mit Nein antworten. Wie konntet Ihr also um des Geschwätzes eines dummen, gemeinen und neidischen Pfäffleins willen gegen ihn einen so grausamen Entschluß fassen?
Ich weiß nicht, in was für einem seltsamen Irrtum die Weiber sich befinden, wenn sie die Männer verschmähen und geringschätzen, während sie doch, wollten sie nur bedenken, was sie sind und wie großer und hoher Adel vor allen ändern Geschöpfen von Gott dem Manne gegeben ist, sich glücklich preisen sollten, wenn sie von einem geliebt werden. Über alles sollten sie ihn wert halten und mit aller Sorgfalt sollten sie sich bestreben, ihm gefällig zu sein, damit er sie zu lieben nie aufhöre. Was Ihr dagegen auf die Worte eines Pfaffen hin tatet, der gewiß auch so ein Topfgucker und Pastetenfresser war, das wißt Ihr selbst. Vielleicht hatte er Lust, den Platz einzunehmen, von dem einen ändern zu verdrängen er sich so viele Mühe gab.
Dies also ist die Sünde, welche die göttliche Gerechtigkeit, die mit gerechter Waage allen Handlungen
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