Das Dekameron
Gefallen. Als aber die Essensstunde gekommen war, speisten sie eben da, wo sie tags zuvor das Abendessen verzehrt hatten. Nach dem Mittagsschlafe, den sie beendeten, als die Sonne im Zenit stand, setzten sie sich in der gewohnten Weise bei der schönen Quelle nieder. Dann gebot Filostrato Fiammetta, die Reihe der Erzählungen zu beginnen. Sie aber hub, ohne weitere Reden zu erwarten, anmutig zu sprechen an:
Erste Geschichte
Tancredi, Fürst von Salerno, tötet den Geliebten seiner Tochter und schickt ihr sein Herz in einer goldenen Schale; sie aber gießt vergiftetes Wasser darüber, trinkt es und stirbt.
Einen traurigen Gegenstand hat der König uns für heute zu besprechen gegeben, da wir fremde Tränen, die nicht erzählt werden können, ohne daß Hörer und Sprecher zum Mitleid erregt werden, schildern sollen, wo wir doch nur zusammenkamen, um uns zu erheitern. Vielleicht tat er es, um die Heiterkeit der vorigen Tage ein wenig auszugleichen. Was aber immer ihn dazu veranlaßt haben mag, so will ich, da mir nicht zukommt, seinen Gefallen zu ändern, euch eine klägliche, herzzerreißende und eurer Tränen würdige Begebenheit erzählen.
Tancredi, der Fürst von Salerno, wäre ein mildherziger und gutgesinnter Fürst gewesen, hätte er sich in seinen alten Tagen nicht noch die Hände mit dem Blut zweier Liebender besudelt. Derselbe hatte zeitlebens nur eine Tochter gehabt, und wohl ihm, hätte er auch sie nicht besessen! Der Vater liebte sie so zärtlich, wie nur je eine Tochter von ihrem Vater geliebt ward, und nur um dieser Liebe willen, weil er es nicht übers Herz bringen konnte, sich von ihr zu trennen, verheiratete er sie selbst da noch nicht, als sie das heiratsfähige Alter schon um mehrere Jahre überschritten hatte. Endlich gab er sie zwar einem Sohne des Herzogs von Capua zur Frau, aber nach kurzer Ehe machte dessen Tod sie zur Witwe, und sie kehrte zum Vater zurück.
Sie war von Gesicht und Gestalt so schön, wie nur je ein anderes Weib gewesen, und dabei jung, entschlossen und gescheit in höherem Maße, als einer Frau vielleicht taugen mag. Während sie nun bei dem zärtlichen Vater in Überfluß und Bequemlichkeit lebte, wie es ihrem hohen Range zukam, und gewahr wurde, daß der Vater vor großer Liebe sich wenig bemühte, sie wieder zu verheiraten, beschloß sie, weil sie es nicht schicklich fend, ihn um einen zweiten Mann anzusprechen, sich, wenn es geschehen könne, heimlich einen würdigen Geliebten zu verschaffen. So beschaute sie sich denn viele adelige und nichtadelige Männer, die am Hofe ihres Vaters verkehrten, wie das an Höfen zu geschehen pflegte, und beachtete das Betragen und die Sitten vieler unter ihnen. Vor den ändern gefiel ihr ein junger Diener ihres Vaters namens Guiscardo, der seiner Abkunft nach ziemlich gering, seinen Eigenschaften und seinem Betragen zufolge aber mehr als alle übrigen adelig zu nennen war. In diesen verliebte sie sich, als sie ihn öfters sah und an seinem Wesen immer größeren Gefallen fand, in aller Stille auf das inbrünstigste. Auch hatte der junge Mann, der ebenfalls klug war, die Gesinnung der Dame erkannt und ihr sein Herz in solchem Maße zugewendet, daß er alle Gedanken außer der Liebe zu ihr fast gänzlich aus seiner Seele getilgt hatte.
Während nun beide einander auf solche Weise heimlich liebten und die junge Dame nach nichts so sehr als nach einer Zusammenkunft mit ihm verlangte und dennoch ihre Liebe niemand anvertrauen wollte, erdachte sie sich eine neue List, um ihn mit allem bekannt zu machen. Sie schrieb nämlich einen Brief, in welchem sie ihm anzeigte, was er am folgenden Tag zu tun habe, um zu ihr zu gelangen. Dann steckte sie diesen in die Höhlung eines Schilfrohrs, das sie dem Guiscardo scherzend mit den Worten übergab:
»Daraus magst du heute abend deiner Magd ein Blasrohr zum Feueranzünden machen.« Guiscardo nahm es hin und erriet bald, daß sie es ihm nicht ohne Ursache gegeben und solche Worte dazu gesprochen habe. Infolgedessen entfernte er sich sogleich, trug das Rohr heim, besah es und zerbrach es, als er es gespalten fand. Als er nun darin ihren Brief entdeckte, ihn gelesen und die darin enthaltenen Vorschläge wohl in sich aufgenommen hatte, wurde er so froh wie kein anderer und begann sogleich, alles ins Werk zu setzen, was nötig war, um auf die angegebene Weise zu ihr zu gelangen.
Hart an dem fürstlichen Palast war schon vor undenklichen Zeiten eine Höhle in den Felsen gehauen, die von
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