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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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der Vater in den begehrenden Trieben des Jünglings nicht unnütze Lust und Verlangen zu erregen wünschte, mochte er sie nicht mit ihrem rechten Namen Weiber nennen, sondern sagte: »Das sind Gänschen.« Und - es klingt in der Tat unglaublich - der junge Mann, der nie ein Weib erblickt hatte, antwortete sogleich, unbekümmert um Paläste, Ochsen, Pferde, Esel, Geld und alle ändern Dinge, die er gesehen: »Vater, ich bitte Euch, verschafft mir so ein Gänschen.« »Um Himmels willen, schweig«, entgegnete der Vater, »die sind vom Übel.« Darauf fragte ihn der Sohn: »Sieht denn das, was vom Übel ist, so aus?« »Ja«, sagte der Vater; aber der Sohn entgegnete wieder: »Ich weiß nicht, was Ihr sprecht und warum diese vom Übel sind. Was mich betrifft, so meine ich, daß ich noch nie etwas so Schönes und Reizendes gesehen habe. Die sind ja noch schöner als die gemalten Engel, die Ihr mir so oft gezeigt habt. Wenn Ihr mir gut seid, so laßt uns so ein Gänschen mit hinaufnehmen, ich will es schon auffüttern.« Da sagte der Vater: »Ich will aber nicht; und du weißt auch gar nicht, womit die gefüttert sein wollen.« Indem er aber so sprach, fühlte er, daß die Natur mehr vermochte als menschlicher Verstand, und er bereute es, ihn nach Florenz mitgenommen zu haben.
    Was ich bisher von dieser Geschichte erzählt habe, möge indes genügen, und ich will mich nun zu denen wenden, an die ich sie gerichtet. Einige meiner Tadler sagten nämlich, ich tue übel daran, daß ich mich allzusehr bemühe, euch, ihr jungen Damen, zu gefallen, und ein allzu großes Behagen an euch finde. Diese Vorwürfe nun, daß ihr nämlich mir gefallt und ich bestrebt bin, euch zu gefallen, gestehe ich offen als wahr ein, frage aber jene, ob sie sich darüber wundern können, wenn sie, abgesehen von der Bekanntschaft mit den liebevollen Küssen, den süßen Umarmungen und den höchsten Wonnen der Liebe, die ihr, holdselige Damen, öfters gewährt, nur eure erlesenen Sitten, eure gefällige Schönheit, eure zierliche Anmut und überdies eure weibliche Sittsamkeit fortwährend beachtet haben und noch beachten, da doch ein Mensch, der auf einem wilden und einsamen Berge, innerhalb der Wände einer kleinen Klause und in alleiniger Gesellschaft seines Vaters genährt, erzogen und groß geworden war, sobald er euch erblickt, nur nach euch verlangte, euch begehrte und nur euch in seinen Wünschen anhing? Werden mich jene tadeln, verspotten und beschimpfen dürfen, wenn ich an euch Gefallen finde oder euch zu gefallen mich bemühe; mich, dessen Leib der Himmel ganz dazu erschaffen hat, um euch zu lieben, mich, dessen Geist ich selbst seit meiner Kindheit euch zugeführt, seit ich die Kraft eurer Lichtaugen, die Anmut eurer honigsüßen Worte und die Flamme empfunden habe, die sich an euren sehnsüchtigen Seufzern entzündet - besonders, wenn sie ins Auge fassen, daß ihr vor allen ändern Dingen einem Einsiedler, einem ungebildeten Jungen oder, um es richtiger zu sagen, einem wilden Tier gefielet -? Wahrlich, nur wer die Freuden und die Kraft der Gefühle nicht kennt, welche die Natur in uns gelegt, und deshalb euch weder liebt noch von euch geliebt zu werden wünscht, tadelt mich auf diese Weise, und der Tadel eines solchen kümmert mich wenig.
    Diejenigen aber, die sich über mein Alter aufhalten, dürften nicht wissen, daß der Stengel des Lauches grün bleibt, wenn der Kopf auch weiß ist, und allen Scherz beiseite lassend, antworte ich ihnen, daß ich es nie für eine Schande halten werde, mich bis zum Ende meines Lebens um diejenigen zu bewerben, denen zu gefallen Guido Cavalcanti und Dante Alighieri in reifen Jahren, Messer Cino von Pistoja aber in seinem späten Alter sich zur Ehre und Freude schätzten. Entfernte ich mich nicht dadurch von meiner herkömmlichen Redeweise, so brächte ich die Chroniken herbei und zeigte, wie voll sie von großen Männern des Altertums sind, die noch in ihren spätesten Jahren sich eifrigst bemüht haben, den Frauen zu gefallen. Ist diese Tatsache jenen unbekannt, so mögen sie hingehen und sich belehren lassen.
    Daß ich mit den Musen auf dem Parnaß weilen solle, ist, ich sage es selbst, ein guter Rat. Da wir aber weder immer bei den Musen noch sie immer bei uns bleiben können, so ist es nicht zu tadeln, daß man sich, wenn man von ihnen entfernt ist, mit Gegenständen beschäftigt, die ihnen ähnlich sehen. Nun sind die Musen Frauen, und mögen ihnen die Damen an Würde auch nicht gleichstehen, so

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