Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
Vom Netzwerk:
zurück, und die junge Dame verließ das Zimmer. Darauf ließ Tancredi, obgleich er schon alt war, sich aus einem Fenster des Zimmers in den Garten hinunter und erreichte, ohne von jemand beobachtet worden zu sein, mit tödlichem Gram im Herzen sein Zimmer.
    In der folgenden Nacht wurde auf seinen Befehl Guiscardo, den sein Lederkoller ungelenk machte, eben als er um die Zeit des ersten Schlafes aus jenem Luftloch schlüpfen wollte, von zwei Reisigen gefangen und heimlich vor Trancedi geführt. Als dieser ihn sah, sagte er, fast bis zu Tränen erschüttert: »Guiscardo, meine Güte gegen dich hat den Schimpf und die Schande nicht verdient, die du mir, wie ich heute mit eigenen Augen gesehen habe, in dem Meinigen angetan hast.« Guiscardo antwortete ihm auf diese Worte weiter nichts als: »Die Liebe vermag viel mehr als Ihr und ich.«
    Darauf befahl Tancredi, daß er in aller Stille in einem benachbarten Raume bewacht werde, und so geschah es. Tancredi aber ging, nachdem er viele und mancherlei Vorhaben durchdacht hatte, am ändern Tag, bevor Ghismonda von dem Geschehenen das mindeste erfahren hatte, seiner Gewohnheit zufolge nach Tisch in das Gemach seiner Tochter, ließ sie zu sich rufen, schloß sich mit ihr ein und sagte dann unter Tränen: »Ghismonda, ich glaubte deiner Tugend und Ehrbarkeit so gewiß zu sein, daß, von wem immer es mir gesagt worden wäre, ich mir niemals hätte träumen lassen, du könntest auch nur daran denken, dich einem Manne, der dir nicht angetraut ist, zu ergeben, geschweige denn, du wärest fähig, es wirklich zu tun, wie ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Daß es nun dennoch geschehen ist, wird mir den kurzen Rest von Leben, den mein Alter mich noch erwarten läßt, auf immer verbittern. Wollte Gott nur wenigstens, daß, wenn du einmal zu solcher Sittenlosigkeit herabsinken solltest, du dir einen Mann erwählt hättest, der deinem Adel ebenbürtig gewesen wäre. So aber hast du dir unter den vielen, die sich an meinem Hofe aufhalten, den Guiscardo ausgesucht, einen Menschen vom niedrigsten Stande, der an unserem Hofe sozusagen aus bloßem Erbarmen bis auf den heutigen Tag ernährt worden ist, und du hast mich dadurch in die größten Sorgen gestürzt, da ich nicht weiß, was ich nach dem Geschehenen mit dir anfangen soll. Mein Vorsatz über Guiscardo, den ich diese Nacht, als er aus dem Luftloch der Höhle schlüpfte, festnehmen ließ und gefangenhalte, ist bereits gefaßt. Was aber aus dir werden soll, mag Gott wissen, denn ich weiß es nicht. Auf der einen Seite bewegt mich die Liebe, die ich von jeher zärtlicher für dich empfunden habe als jeder andere Vater für seine Tochter, auf der ändern erregt mich der gerechte Zorn über deine verbrecherische Torheit. Jene will, daß ich dir vergebe, dieser aber nötigt mich wider meine Natur, dich hart zu bestrafen. Bevor ich mich jedoch entschließe, will ich hören, was du selbst über das Geschehene zu sagen hast.« Und mit diesen Worten neigte er das Haupt und weinte so heftig wie ein Kind, das arge Schläge empfangen hat.
    Ghismonda hatte bei der Rede ihres Vaters, aus der sie entnahm, daß nicht allein ihre geheime Liebe entdeckt, sondern auch ihr Guiscardo gefangen sei, unbeschreiblichen Schmerz empfunden und war oft nahe daran gewesen, diesem nach Art der meisten Frauen in Tränen und lautem Wehklagen Luft zu machen. Dennoch besiegte sie die Schwäche, behielt die Züge ihres Gesichtes mit wunderbarer Festigkeit in der Gewalt und setzte sich vor, in der Meinung, daß ihr Guiscardo schon umgebracht sei, lieber ihr Leben lassen zu wollen, als die geringste Bitte für sich zu tun.
    Darum antwortete sie ihrem Vater nicht wie ein betrübtes oder eines Vergehens bezichtigtes Weib, sondern fest und unbekümmert, mit trockenen Augen und sicheren, unveränderten Zügen folgendermaßen: »Tancredi, ich bin weder zu leugnen noch zu bitten gesonnen, denn das eine würde und das andere soll mir nichts nützen. Auch will ich deine Liebe und Milde durch nichts auf der Welt für mich zu erregen suchen, vielmehr bin ich entschlossen, zuerst die Wahrheit zu gestehen und meine Ehre mit genügenden Gründen zu verteidigen, dann aber meinen hohen Sinn durch Taten auf das nachdrücklichste zu bewähren. Es ist wahr, ich habe Guiscardo geliebt, liebe ihn noch und werde ihn lieben, solange mein Leben währt, was nicht mehr lange sein wird; und sollte man nach dem Tode noch lieben, so werde ich auch dann nicht aufhören, ihn zu lieben. Zu dieser

Weitere Kostenlose Bücher