Das Dekameron
einem künstlich durch die Wand des Felsens getriebenen Luftloch einiges Licht empfing. Weil indes die Höhle selbst vernachlässigt war, hatten aufgeschossene Dornen und Sträucher auch jenes Luftloch fast ganz verdeckt. In diese Höhle konnte man durch eine geheime Treppe gelangen, die sich in einem der von der Dame bewohnten Zimmer im Erdgeschoß des Palastes befand, obgleich der Eingang mit einer starken Tür verschlossen war. Auch war von der Treppe seit so undenklichen Zeiten kein Gebrauch gemacht worden, daß sie dem Gedächtnis aller Schloßbewohner so gut wie entfallen war und kaum einer sich erinnerte, daß sie vorhanden sei. Dennoch aber hatte die Liebe, deren Auge das Verborgenste beachtet, sie in das Gedächtnis der liebenden Dame zurückgerufen. Damit niemand das mindeste gewahr würde, hatte sie tagelang mit den Werkzeugen, die ihr zur Hand waren, allein sich abgemüht, die Türe zu öffnen. Dann war sie in die Höhle gegangen, hatte sich jenes Luftloch angesehen und dem Guiscardo geschrieben, daß er versuchen möge, dort herunterzukommen. Auch hatte sie ihm zu diesem Zweck angegeben, wie tief es ungefähr von dort bis auf den Boden sein könne.
Zur Ausführung dieses Planes machte sich Guiscardo in aller Eile einen Strick mit allerhand Knoten und Schlingen zurecht, um daran hinabzusteigen, zog ein Lederkoller an, das ihn vor den Dornen schützen sollte, und machte sich dann, ohne jemand ein Wort wissen zu lassen, in der nächsten Nacht auf den Weg nach jenem Luftloch. Hier befestigte er das eine Ende des Strickes an einem kräftigen Stamm, der hart am Rande stand, ließ sich alsdann in die Höhle hinab und erwartete die Dame. Diese stellte sich zur rechten Zeit, als wollte sie schlafen, schickte ihre Gesellschafterinnen weg und öffnete, nachdem sie sich eingeschlossen hatte, die Tür zur Höhle, in der sie ihren Guiscardo fand. Beide begrüßten sich mit unbeschreiblicher Freude, gingen dann miteinander in das Gemach und verbrachten dort den größten Teil des Tages unter dem lebhaftesten beiderseitigen Ergötzen. Als sie darauf sorgfältige Abrede getroffen hatten, wie sie ihre Liebe fernerhin geheimhalten wollten, kehrte Guiscardo in die Höhle zurück, und die junge Dame suchte, nachdem sie die Tür verschlossen, ihre Gesellschafterinnen wieder auf. Guiscardo aber kletterte in der folgenden Nacht an seinem Stricke empor, kroch aus dem Luftloch, durch das er gekommen war, wieder heraus und ging nach Hause.
Da er nun den Weg einmal gefunden hatte, legte er ihn im Verlaufe der Zeit noch oft auf dieselbe Weise zurück. Endlich aber verwandelte das Schicksal, das den Liebenden so lange und so große Freuden nicht gönnte, durch ein trauriges Ereignis ihre Glückseligkeit in Jammer und Tränen.
Tancredi pflegte zuweilen ganz allein in das Gemach seiner Tochter zu kommen, eine Zeitlang bei ihr zu bleiben, mit ihr zu sprechen und dann wieder zu gehen. So kam er denn auch eines Tages nach Tische, als die junge Dame, deren Name Ghismonda war, mit ihren Gesellschafterinnen im Garten verweilte, in ihr Zimmer herunter, ohne daß ihn jemand gehört oder gesehen hätte. Als er sie nicht fand, wollte er ihr Vergnügen nicht unterbrechen. Die Fenster waren verschlossen und die Vorhänge ihres Bettes niedergelassen, und der alte Fürst setzte sich in einer Ecke zu Füßen des letzteren auf einen Schemel, lehnte das Haupt ans Bett, zog den Vorhang über sich, als hätte er sich absichtlich verbergen wollen, und schlief ein.
Während er noch schlief, verließ Ghismonda, die zu ihrem Unglück eben an jenem Tage den Guiscardo zu sich beschieden hatte, ihre beiden Gesellschafterinnen, kehrte leise in ihr Zimmer zurück, verschloß es hinter sich und öffnete, ohne zu bemerken, daß jemand da war, dem Guiscardo, der sie bereits erwartete, die Tür. Als beide nun nach ihrer Gewohnheit sich zusammen niederlegten, miteinander scherzten und sich ergötzten, geschah es, daß Tancredi erwachte und dem, was Guiscardo und seine Tochter miteinander Vornahmen, zuhörte und zusah. Tief ergrimmt wollte er seinen Zorn sogleich über sie ausschütten; dann aber zog er es vor, zu schweigen und womöglich verborgen zu bleiben, um später mit größter Überlegung und geringer Schande für sich selbst das auszuführen, was zu tun ihm bereits dunkel vorschwebte.
Die beiden Liebenden blieben nach gewohnter Weise lange Zeit beieinander und wurden Tancredi noch immer nicht gewahr. Endlich standen sie auf, Guiscardo kehrte in die Höhle
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