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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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zu leben.
     
    Die Geschichte, die Filomena soeben erzählt hatte, war den Damen sehr willkommen gewesen, da sie jenes Lied schon oft singen gehört hatten, trotz allen Fragens aber nie hatten erfahren können, aus welchem Anlaß es gemacht worden war. Der König hatte kaum das Ende vernommen, als er den Panfilo in der Ordnung weiter fortfahren hieß. Panfilo sagte darauf:
    Der in der vorigen Geschichte erwähnte Traum veranlaßt mich, euch eine andere zu erzählen, in der ihrer zwei Vorkommen, die zukünftige Dinge betrafen, so wie jener vergangene, und die kaum von denjenigen, die sie geträumt hatten, erzählt worden waren, als sie auch schon eintrafen. Ihr müßt nämlich wissen, liebenswürdige Damen, daß alle Lebenden vermöge einer gemeinsamen Erregbarkeit im Traum mancherlei Dinge sehen, die zwar dem Träumenden, solange er schläft, vollkommen wahr scheinen, von denen aber, sobald er wieder erwachte, nur einige als wahr, andere als wahrscheinlich und noch andere als aller Wahrheit widersprechend erkannt werden. Viele messen demzufolge jedem ihrer Träume ebensoviel Glauben bei wie den Gegenständen, die sie wachend sehen, und betrüben oder erfreuen sich über ihre Träume, je nachdem ihr Inhalt sie hoffen oder fürchten macht. Umgekehrt gibt es aber auch manche, die Träumen erst dann glauben, wenn sie der Gefahr, vor der sie gewarnt werden, erlegen sind. Ich billige weder das eine noch das andere; denn die Träume sind weder immer wahr noch allemal falsch. Daß sie nicht alle wahr sind, wird wohl ein jeder von uns schon öfters erfahren haben. Daß sie aber auch nicht alle täuschen, habt ihr schon aus Filomenas Geschichte ersehen, und ich gedenke es euch jetzt, wie ich schon erwähnte, auch durch die meinige zu beweisen. Deshalb meine ich denn, daß man sich durch keinen widersprechenden Traum bei tugendhaftem Leben und Wandel in Furcht versetzen, noch von seinen guten Entschlüssen abbringen lassen soll. Ebenso soll man, wie vorteilhaft auch die Träume uns ein schlechtes und widerrechtliches Benehmen darstellen und uns mit lockenden Vorspielungen dazu verleiten wollen, ihnen doch keinen Glauben schenken, wohl aber im umgekehrten Fall sie alle für wahr halten. Doch kommen wir zu unserer Geschichte.
    In der Stadt Brescia lebte vor Zeiten ein Edelmann, der Herr Negro da Ponte Carali genannt wurde. Unter mehreren ändern Kindern hatte er eine Tochter namens Andreola, die jung und hübsch und unvermählt war und sich zufälligerweise in einen von ihren Nachbarn verliebte, der Gabriotto hieß und zwar von niedrigem Stande, aber von gar löblichen Sitten und schönem, wohlgefälligem Aussehen war. Auch wußte die junge Dame es durch Hilfe eines Mädchens, das im Hause diente, nicht allein dahin zu bringen, daß Gabriotto ihre Liebe zu ihm erfuhr, sondern sie ließ ihn auch zu großem beiderseitigem Vergnügen gar häufig zu sich in einen schönen Garten ihres Vaters führen. Und damit keine Macht außer dem Tode ihre wechselseitige Liebe zu trennen vermöchte, wurden sie heimlich Mann und Frau.
    Während sie nun auf solche Weise verstohlen ihre Zusammenkünfte fortsetzten, geschah es, daß die junge Dame, schlafend, eines Nachts im Traum mit Gabriotto in ihrem Garten zu sein und ihn zu ihrer beiderseitigen Lust in den Armen zu halten glaubte. Und als sie noch in dieser Stellung verweilten, war es ihr, als sähe sie aus seinem Körper ein scheußliches schwarzes Ding herauskommen, dessen Gestalt sie nicht erkennen konnte. Dann kam es ihr so vor, als faßte dieses Ding den Gabriotto und risse ihn wider ihren Willen mit unglaublicher Kraft aus ihren Armen und verschwände mit ihm unter der Erde, so daß sie weder das eine noch den anderen wieder zu sehen bekam. Darüber empfand sie so heftigen Schmerz, daß sie aufwachte; und obwohl sie, erwacht, sich freute, daß die Erscheinungen ihres Traumes verschwunden waren, erfüllte dennoch das, was sie geträumt hatte, sie mit Angst. Deshalb bemühte sie sich, als Gabriotto die folgende Nacht zu ihr kommen wollte, ihn für diesen Abend davon abzubringen. Da sie aber seinen festen Willen sah, gab sie nach, damit er sie nicht in einem ändern Verdacht haben möchte, und willigte ein, ihn in der Nacht in ihrem Garten zu empfangen.
    So pflückten sie denn, da es eben die Jahreszeit war, viele weiße und rote Rosen und setzten sich dann miteinander an den Rand eines schönen Springbrunnens, der den Garten zierte und voll des klarsten Wassers war. Dort bereiteten sie eine

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