Das Dekameron
Zeitlang einander die süßesten Freuden, und Gabriotto fragte seine Dame, aus welchem Grunde sie ihm am vergangenen Tag diese Zusammenkunft habe abschlagen wollen. Sie tat, wie er wünschte, und erzählte ihm den Traum, den sie die Nacht zuvor gehabt, und die Besorgnis, die sie deshalb gefaßt habe. Gabriotto aber lachte über ihre Rede und sagte, Träumen irgendwelchen Glauben beizumessen sei eine große Torheit, denn sie entständen aus Übermaß oder aus Mangel an Speise, und man sehe täglich, daß sie vollkommen eitel seien.
Dann fügte er hinzu: »Hätte ich mich nach Träumen richten wollen, so wäre ich nicht so sehr deines Traumes wegen als einem eigenen Traum zuliebe, den ich in dieser letzten Nacht gehabt habe, nicht gekommen. Mir träumte nämlich, ich sei in einem anmutigen, schönen Walde auf der Jagd und hätte das niedlichste und allerliebste Reh gefangen, das je gesehen worden ist. Es war weißer als Schnee und wurde in kurzer Zeit so zutraulich, daß es gar nicht mehr von mir ging. Dennoch war es mir im Traum, als ob ich, damit es mir nicht entflöhe und weil es mir so lieb war, ihm ein goldenes Halsband um die Kehle legte und es an einer goldenen Kette mit der Hand hielte. Dann aber schien mir, während das Reh schlummerte und sein Kopf in meinem Schoß lag, von woher weiß ich nicht, ein kohlschwarzer Windhund von gierigem und furchtbarem Aussehen auf mich zuzukommen. Mir war, als leistete ich gar keinen Widerstand, als packte er mich mit den Zähnen an der linken Seite und nagte so lange daran, bis er zum Herzen gelangte, es herausriß und dann forteilte. Darüber empfand ich solch einen Schmerz, daß ich aus dem Schlafe auffuhr und, erwacht, mir eilig nach der Seite griff, um zu fühlen, ob ich dort nichts hätte. Als ich indes nichts fand, lachte ich mich selber aus, daß ich erst nachgesehen hatte. Was aber hat das alles auf sich? Ähnliche und noch viel schrecklichere Träume habe ich schon oft genug gehabt, ohne daß mir darum der mindeste Unfall von der Welt zugestoßen wäre. Bekümmere dich also nicht wegen der Träume, sondern laß uns allein unserm Glück nachgehen.«
Die junge Dame, die schon über ihren Traum so sehr erschrocken war, wurde es über der Rede ihres Geliebten noch weit mehr. Um ihn aber auf keine Weise zu verstimmen, verbarg sie ihre Angst, soviel sie nur vermochte. Obgleich sie nun ihren Gabriotto öfter umarmte und küßte und auch in seinen Umarmungen und Küssen ein wenig Freude fand, so fürchtete sie doch fortwährend, ohne selber zu wissen was, blickte ihm häufiger als sonst ins Gesicht und sah sich zuweilen im Garten um, ob nicht irgendwo etwas Schwarzes auf sie zukomme.
Während sie noch so miteinander weilten, seufzte Gabriotto tief auf, umarmte sie und rief: »Ach Gott, mein liebstes Herz, hilf mir, denn ich sterbe.« Und mit diesen Worten fiel er auf den Rasen der Wiese nieder. Sogleich hob ihn Andreola wieder auf, legte ihn sich in den Schoß und sagte fast unter Tränen: »Ach, mein süßester Gebieter, um Gottes willen, was fehlt Euch denn?« Gabriotto antwortete nicht, sondern stöhnte heftig unter plötzlichem Schweiße, und es währte nicht lange, so verschied er.
Wie schmerzlich und betrübend dies der jungen Dame sein mußte, die ihn mehr als sich selbst liebte, wird sich eine jede von euch ausmalen können. Lange weinte sie über ihm, und oftmals rief sie ihn vergeblich beim Namen. Als sie aber fühlte, daß er schon am ganzen Leib erkaltet war, und sich dadurch überzeugte, er sei wirklich tot, ging sie, da sie sich auf der Welt keinen Rat wußte, in all ihrer Angst und mit nassen Augen, um ihre Dienerin, welche die Vertraute ihrer Liebe war, zu rufen, und erzählte dieser ihren Jammer und ihr Elend. Nachdem sie gemeinschaftlich Gabriottos tote Züge eine Zeitlang mit ihren Tränen benetzt hatten, sagte die Dame zur Dienerin: »Da Gott mir ihn genommen hat, so denke ich auch nicht länger am Leben zu bleiben. Bevor ich aber Hand anlege, um mich selbst zu töten, wünschte ich, daß wir genügende Maßnahmen ergriffen, um meine Ehre und das Geheimnis der Liebe, die zwischen uns bestanden hat, zu bewahren und um diesen Körper, von dem die geliebte Seele geschieden ist, zur Erde zu bestatten.«
Darauf entgegnete die Dienerin: »Sage nicht, meine Tochter, du wolltest dir das Leben nehmen; denn hast du ihn in dieser Welt verloren, so trennte dein Selbstmord dich auch in jener Welt von ihm, weil du zur Hölle verbannt würdest, wo seine Seele
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