Das Dekameron
Geschichten zu beginnen. Panfilo gehorchte willig dem Befehl und sprach also:
Erste Geschichte
Kimon wird durch die Liebe vernünftig und raubt Iphigenie, seine Geliebte, zur See. In Rhodos verhaftet, wird er durch Lysimachos befreit, und beide entführen gemeinschaftlich Iphigenie und Kassandra von ihrem Hochzeitsfest. Sie fliehen nach Kreta und heiraten dort ihre Geliebten, mit denen sie endlich in die Heimat zurückberufen werden.
Mancherlei Geschichten wüßte ich, holdselige Damen, deren Mitteilung einen so fröhlichen Abend, wie der heutige zu werden verspricht, schicklich eröffnete. Eine unter ihnen sagt mir aber am meisten zu, weil ihr nicht allein in ihr den fröhlichen Ausgang wahrnehmen werdet, sondern zugleich auch erkennen könnt, wie heilig, gewaltig und segensreich die Kräfte der Liebe sind, die viele, ohne selbst zu wissen, was sie reden, sehr zu Unrecht tadeln und verdammen. Und da ihr, wenn ich mich nicht täusche, sämtlich verliebt seid, so kann euch diese Einsicht nicht anders als willkommen sein.
Nach dem, was ich vor Zeiten in den alten Geschichten der Zyprier gelesen habe, lebte auf jener Insel ein Mann von edlem Geschlecht, der Aristipp hieß und an Reichtum in irdischen Gütern alle seine Landsleute um vieles übertraf, so daß, wenn das Schicksal ihm nicht in einem Punkte feindlich gewesen wäre, er sich mit besonderem Rechte glücklich hätte erachten können. Er hatte aber unter seinen übrigen Kindern einen Sohn, der an Größe und körperlicher Schönheit zwar die übrigen jungen Männer übertraf, doch zugleich fast albern und blödsinnig zu nennen war. Sein wirklicher Name war Galesus. Weil aber weder die Bemühungen der Lehrer noch Zureden oder Schläge des Vaters, noch endlich der Scharfsinn irgendeines ändern imstande gewesen waren, ihm von Kenntnissen oder guten Sitten das mindeste beizubringen, und vielmehr seine Stimme plump und mißtönend, sein Betragen aber mehr einem Vieh als einem Menschen angemessen geblieben war, so nannten ihn alle im Spott nur Kimon, was in der dortigen Sprache soviel wie Rindvieh heißt. Das nichtige Leben des Sohnes ging dem Vater gar sehr zu Herzen, und als er in bezug auf ihn endlich alle Hoffnung aufgegeben hatte, befahl er ihm, um den Anlaß seines Grams nicht immer vor Augen zu haben, auf das väterliche Landgut zu gehen und dort mit den Ackerknechten zu leben. Mit dieser Bestimmung war denn auch Kimon, dem die Sitten und Gebräuche der gemeinen Leute viel mehr zusagten als die feineren, ausnehmend zufrieden.
Während er nun auf dem Lande sich ausschließlich mit den Angelegenheiten der Landwirtschaft beschäftigte, ging er eines Tages bald nach Mittag, seinen Stock auf der Schulter, von einem Gehöft zum ändern und durchquerte dabei ein Gehölz, das, weil es eben Mai war, ein dichtes Laubdach bildete und an jener Stelle gerade seine volle Schönheit zeigte. Hier führte ihn sein glücklicher Stern zu einer kleinen, rings von hohen Bäumen umgebenen Wiese, an deren Ende eine anmutige und kühle Quelle entsprang. Neben dieser erblickte er auf dem grünen Rasen ein reizendes junges Mädchen schlafend, dessen feines und durchscheinendes Gewand die alabasternen Glieder nur unmerklich verhüllte, während eine leichte und schneeweiße Decke vom Gürtel niederwärts über sie hingebreitet war. Zu ihren Füßen lagen zwei Mädchen und ein Mann, die in den Diensten der jungen Dame standen, und schliefen gleichfalls.
Beim Anblick dieser Schönen erstaunte Kimon nicht anders, als ob er nie zuvor ein Frauenbild gesehen hätte, und beschaute sie, sprachlos auf seinen Stab gelehnt, aufmerksam und mit unsagbarem Entzücken. Da fühlte er, wie in seiner rohen Brust, der tausendfach wiederholte Weisung nicht den mindesten Eindruck edler Neigungen hatte mitteilen können, plötzlich ein Gefühl erwachte, das seinem plumpen und ungebildeten Geiste dies Mädchen als den schönsten Gegenstand darstellte, den jemals das Auge eines Lebenden gesehen. Dann betrachtete er die einzelnen Teile ihres Körpers und bewunderte die Schönheit ihrer Haare, die ihn golden deuchten, Stirne, Mund und Nase, Hals und Arme, vor allem aber den Busen, dessen Hügel sich erst mählich wölbten. Er, der soeben noch in jeder Hinsicht ein Bauer gewesen war, fällte nun schon ein Urteil über die Schönheit und verlangte sehnlichst, daß sie die Augen aufschlagen möge, die ein tiefer Schlaf noch verschlossen hielt. Mehrmals wandelte ihn die Lust an, sie zu wecken,
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