Das Dekameron
von törichter Hoffnung etwas ermutigt, richtete sich die Witwe, die auf dem Turm über alle Maßen betrübt zurückgeblieben war, wieder auf, drängte sich an die Seite der Mauer, wo sie ein wenig Schatten fand, und wartete unter den bittersten Gedanken. Bald nachsinnend und bald hoffend, bald wieder daran verzweifelnd, daß der Gelehrte mit ihren Kleidern wiederkehren werde, vom einen Gedanken zum ändern überspringend, verfiel sie endlich, da sie die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, vom Schmerz überwältigt in Schlaf.
Unterdessen war die Sonne, die in vollster Sommerglut brannte, bis zum Mittag heraufgerückt und traf mit ihren fast senkrechten Strahlen schutzlos den weichen und zarten Körper und den unbedeckten Kopf der Witwe mit solcher Gewalt, daß ihre Glut das Fleisch, soweit es ihr ausgesetzt war, nicht allein verbrannte, sondern dasselbe Stück für Stück bersten machte. So heftigen Schmerz aber verursachte dies, daß die tief Schlafende davon erwachte. Wie sie nun durch den Schmerz des Brandes zusammenzuckte, schien es ihr, als öffnete sich die ganze versengte Haut und reiße in Stücke, wie wir es mit verbranntem Pergament geschehen sehen, sobald man daran zieht. Überdies schmerzte sie, wie es wahrlich kein Wunder war, der Kopf so sehr, daß sie meinte, er müsse zerspringen. Zugleich war auch der Estrich des Turmes so glühend, daß sie weder mit den Füßen noch sonst mit einem Teile ihres Körpers darauf Ruhe finden konnte, weshalb sie, ohne in derselben Lage irgend zu verweilen, sich unter Tränen stets hin- und herwandte. Dazu fanden sich bei der völligen Windstille auch Fliegen und Bremsen in unermeßlicher Zahl ein, welche sich auf ihre gesprungene Haut setzten und sie so heftig stachen, daß ihr jeder Stich von einem Speere herzurühren schien, so daß sie keinen Augenblick abließ, sich mit den Händen zu wehren, während sie dabei sich selbst, ihr Dasein, ihren Liebhaber und den Gelehrten fortwährend verwünschte.
Dann wieder sprang sie plötzlich auf, von der grenzenlosen Hitze, vom Sonnenbrand, von den Fliegen und Bremsen, zugleich auch vom Hunger und noch viel mehr vom Durst, als Zugabe aber von tausend quälenden Gedanken geängstigt, gepeinigt und durchwühlt, und spähte umher, ob sie nicht in der Nähe irgendjemand sähe oder hörte, völlig entschlossen, ihn anzurufen und um Beistand anzusprechen, was auch daraus werden möchte. Doch auch dies hatte das feindliche Geschick ihr versagt. Die Bauern waren der Hitze wegen alle von den Feldern verschwunden, und niemand war an diesem Tage in jener Gegend zur Arbeit ausgegangen, da sie alle bei ihren Häusern das Korn droschen. Darum hörte sie nichts als Heuschrecken und sah nichts als den Arno, der, mit seinen Wassern ihr Verlangen erregend, ihren Durst nicht etwa stillte, sondern nur vermehrte. Auch sah sie an verschiedenen Stellen Büsche, Schatten und Häuser, welche alle der danach Begehrenden auf gleiche Weise zur Pein wurden. Was sollen wir noch mehr von dem unglücklichen Weibe berichten? Die Sonne von oben, die Glut des Estrichs von unten und die Stiche der Fliegen und Bremsen von der Seite hatten Helena so zugerichtet, daß sie, die noch wenige Stunden zuvor mit der Weiße ihrer Haut die Schatten der Nacht besiegt hatte, jetzt rot wie die Sünde und ganz mit Blut besudelt war und jedem, der sie sah, als das häßlichste Wesen von der Welt erscheinen mußte.
So erwartete sie, ohne Rat und Hoffnung, den Tod mehr als irgend etwas anderes.
Inzwischen war die neunte Tagesstunde schon fast herangekommen, als der Gelehrte, vom Schlafe erwachend, der Witwe gedachte und nach dem Turm zurückkehrte, um zu sehen, was aus ihr geworden sei, während er seinen Diener, der noch nüchtern war, zum Essen fortschickte. Als die Unglückliche dies wahrnahm, kam sie schwach und erschöpft von der großen Pein an die Öffnung, setzte sich dort nieder und begann weinend folgendermaßen:
»Rinieri, wohl hast du dich jetzt über alles Maß hinaus gerächt, denn wenn ich dich nachts in meinem Hof vor Frost erstarren ließ, so hast du mich bei Tag auf diesem Turm versengen, ja verbrennen und überdies an Hunger und Durst fast sterben lassen. Ich beschwöre dich daher bei dem alleinigen Gott, komme herauf, und da ich nicht den Mut habe, mir selbst den Tod zu geben, so gib du mir ihn, den ich jetzt mehr begehre als alles andere, so groß ist die Qual, die ich empfinde. Willst du mir aber diese Gunst nicht erweisen, so laß mir wenigstens einen
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