Das Dekameron
was es bedeutet, eines Gelehrten zu spotten, auf daß du in Zukunft, wenn du hier mit dem Leben davonkommst, nie wieder in diese Torheit verfallen mögest. Doch hast du so großes Verlangen, von dort herabzukommen, warum stürzt du dich nicht auf die Erde? Dann wirst du dir, mit Gottes Hilfe, den Hals brechen und dadurch zugleich der Pein, in der du zu sein glaubst, entfliehen und mich zum zufriedensten Menschen von der Welt machen. Nun will ich dir nichts weiter sagen: ich wußte es einzurichten, daß du dort hinaufstiegst; erfinde du jetzt das Mittel herabzusteigen, wie du das erfandest, mich zu verhöhnen.«
Während der Gelehrte so sprach, weinte die unglückliche Witwe ohne Unterlaß, und inzwischen verging die Zeit, und die Sonne stieg immer höher. Doch als sie ihn schweigen hörte, begann sie: »Grausamer Mann, ward dir jene verwünschte Nacht so schwer, und schien dir mein Verschulden so groß, daß dich weder meine jugendliche Schönheit noch meine herben Tränen oder mein demütiges Flehen erweichen können, so laß dich wenigstens dadurch etwas rühren und deine Strenge mindern, daß ich dir von neuem vertraute und dir alle meine Geheimnisse offenbarte und eben hierdurch deinem Verlangen, mich zur Erkenntnis meines Unrechts zu bringen, Gelegenheit bot; denn ohne diese vertrauensvolle Hingebung hättest du nie das Mittel gefunden, dich an mir zu rächen, was du doch mit solcher Begier ersehntest. Drum laß deinen Zorn und vergib mir. Wenn du mir verzeihen und mich von hier hinunterlassen willst, bin ich bereit, den treulosen Jüngling ganz aufzugeben und dich allein als meinen Geliebten und Herrn anzuerkennen, obschon du meiner Schönheit spottest und sie für vergänglich und wenig wert erklärst. Doch wie auch sie und die aller ändern Frauen beschaffen sei, so weiß ich doch, daß, wenn schon aus keinem anderen Grunde, sie zumindest deswegen wertgehalten zu werden verdient, weil sie das Verlangen, die Freude und das Ergötzen der jungen Männer ausmacht, und du bist keineswegs alt. Ja, wie grausam ich auch von dir behandelt werde, so kann ich doch nicht glauben, daß du wünschest, mich eines so ehrlosen Todes sterben zu sehen, wie ich ihn fände, wenn ich mich wie eine Verzweifelte von diesem Turm herabstürzte vor deinen Augen, denen ich einst so sehr gefiel, so du nicht schon damals, wie du es jetzt geworden bist, ein Lügner warst. Um Gott, habe Mitleid mit mir und Erbarmen. Die Sonne fängt an heiß zu glühen, und wie mich die Kälte in dieser Nacht gequält hat, so beginnen nun ihre Strahlen mir höchst beschwerlich zu fallen.«
Hierauf entgegnete ihr der Gelehrte, der Gefallen daran fand, sie mit Worten hinzuhalten: »Dein Zutrauen, Madonna, überlieferte dich jetzt meinen Händen nicht aus Liebe, die du für mich fühltest, sondern um den wiederzugewinnen, den du verloren hattest, und verdient darum nichts anderes als größere Strafe. Törichterweise glaubst du, wenn du es glaubst, daß dieser Weg allein und kein anderer mich zu der von mir ersehnten Rache habe führen können. Tausend andere hatte ich dazu, mit tausend Schlingen hatte ich deine Füße dadurch umstrickt, daß ich dich noch immer zu lieben vorgab, und nicht lange hätte es währen können, so hättest du, auch wenn es nicht auf diese Weise geschehen wäre, notwendig in eine derselben fallen müssen. Ja, in keine hättest du geraten können, welche dir nicht zu größerer Strafe und Schmach als diese ausgeschlagen wäre. Diesen Weg aber ergriff ich, nicht um dich zu schonen, sondern um desto früher meiner Rache froh zu werden. Ja, wäre mir auch jeder andere fehlgeschlagen, so wäre mir doch nicht die Feder entgangen, mit der ich solche und so beschaffene Dinge von dir geschrieben hätte und auf solche Art, daß du, wenn du sie wiedererfahren, dir jeden Tag tausendmal gewünscht hättest, niemals geboren zu sein. Die Macht der Feder ist um vieles größer als diejenigen ermessen, welche sie aus Erfahrung noch nicht erprobt haben; und ich schwöre zu Gott - und mag er mich der Rache, die ich jetzt an dir nehme, bis ans Ende froh machen, wie er es mit ihrem Anfang getan hat -, ich hätte Dinge geschrieben, um derentwillen du nicht allein vor ändern, sondern auch vor dir selbst schamrot geworden wärest und dir die Augen ausgerissen hättest, um dich nicht mehr zu sehen. Wirf also dem Meer nicht vor, daß es durch den kleinen Bach gewachsen sei.
Aus deiner Liebe und daraus, daß du mein werden willst, mache ich mir, wie
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