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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Boccacio
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Becher Wasser reichen, damit ich mir den Mund anfeuchten kann, da bei der Trockenheit und der Glut, die ich innerlich fühle, meine Tränen nicht genügen wollen.«
    Wohl erriet der Gelehrte an der Stimme das Maß ihrer Schwäche, auch sah er zum Teil ihren von der Sonne ganz versengten Leib. Dies sowohl als auch ihr demütiges Flehen erweckte einiges Mitleid in ihm. Nichtsdestoweniger antwortete er ihr: »Schlechtes Weib, von meinen Händen sollst du nicht sterben, stirb von deinen eigenen, wenn du Verlangen danach hast, und Wasser will ich dir ebensoviel zur Linderung deiner Glut reichen, wie ich Feuer von dir zur Linderung des Frostes bekam. Das eine aber beklage ich sehr: während meine Krankheit, welche die Folge jenes Frostes war, durch die Hitze stinkenden Stallmists geheilt werden mußte, wird deine jetzige Glut mit duftigem Rosenwasser gekühlt und geheilt werden; und während ich meine Nerven, ja mein Leben einzubüßen im Begriff war, wirst du nach dieser sengenden Hitze der Schlange gleich, die ihre alte Haut abstreift, wieder schön werden.«
    »O weh mir!« entgegnete die Witwe. »So erlangte Schönheit möge Gott denen gewähren, die mir übel wollen! Aber du, der du grausamer bist als irgendein reißendes Tier, wie hast du es vermocht, mich auf diese Weise zu martern? Was hätte ich von dir oder irgendeinem anderen Schlimmeres erwarten können, wenn ich dein ganzes Geschlecht unter den grausamsten Qualen umgebracht hätte? Wahrlich, ich weiß nicht, welche größere Marter man über einen Verräter, der eine ganze Stadt dem Tode geopfert, hätte verhängen können, als die ist, der du mich preisgegeben hast, indem du mich von der Sonne rösten und von den Fliegen aufzehren ließest. Und nun versagst du mir noch einen Becher Wasser, während man selbst den durch Urteil und Recht verdammten Mördern, wenn sie zum Tode gehen, häufig Wein zu reichen pflegt, sobald sie ihn fordern! Wohlan denn, da ich nun sehe, daß du an deinem grausamen Entschluß festhältst und mein Leiden dich in keiner Weise rühren kann, so will ich mich in Geduld anschicken, den Tod zu empfangen, auf daß Gott mit meiner Seele Mitleid habe. Ihn rufe ich an, daß er mit gerechtem Auge dies dein Werk betrachte.«
    Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, zog sie sich unter großer Mühe gegen die Mitte des Estrichs zurück und gab schier die Hoffnung auf, dieser brennenden Glut lebendig zu entkommen. Während sie fortwährend heftig weinte und über ihr trauriges Geschick wehklagte, meinte sie nicht nur einmal, sondern tausendmal, außer ihren übrigen Schmerzen, vor Durst den Verstand zu verlieren.
    Schon war es Abend geworden, und nun schien es dem Gelehrten, daß er genug getan habe. Er ließ daher von seinem Diener ihre Kleider nehmen und in dessen Mantel einschlagen. Dann begab er sich zu dem Hause der Unglücklichen, wo er ihre Magd trostlos, traurig und ohne Rat an der Tür sitzen fand und also zu ihr sprach: »Wie geht es deiner Gebieterin, gute Frau?« »Herr«, antwortete ihm die Magd, »ich weiß es nicht. Diesen Morgen glaubte ich sie in ihrem Bett zu finden, in das sie sich, wie es mir schien, gestern abend gelegt hatte. Allein ich fand sie weder hier noch anderswo; auch weiß ich nicht, was aus ihr geworden ist, und lebe deshalb in der größten Sorge. Doch Ihr, o Herr, könnt Ihr mir vielleicht etwas von ihr sagen?« Hierauf entgegnete der Gelehrte: »Hätte ich dich nur zusammen mit ihr dort gehabt, wo ich sie hatte, damit ich dich deiner Schuld wegen ebenso hätte züchtigen können, wie ich sie für die ihre gezüchtigt habe. Doch fürwahr, auch du sollst meinen Händen nicht entgehen, bis ich auch dich für deine Taten so gestraft habe, daß du nie mehr einen Mann betrügst, ohne an mich zu denken.« Nach diesen Worten sprach er zu seinem Diener: »Gib ihr die Kleider und heiße sie nach ihrer Herrin gehen, sobald sie will.« Der Diener richtete diesen Befehl aus. Die Magd aber ergriff die Kleider, erkannte sie, und als sie hörte, was ihr gesagt wurde, fürchtete sie, man habe ihre Gebieterin getötet, und es fehlte nicht viel, daß sie laut aufgeschrien hätte. In Tränen eilte sie, sobald der Gelehrte fort war, mit den Kleidern in vollem Laufe hinaus zu dem Turm.
    Zufällig waren einem Arbeiter der Witwe an diesem Tag zwei seiner Schweine entlaufen, die er nun suchte und dabei, bald nachdem der Gelehrte weggegangen war, zu dem kleinen Turm gelangte. Während er noch ringsumher nach seinen Schweinen Ausschau

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