Das Dekameron
Gebrauche deine Macht nicht gegen ein Weib; es ist ja für den Adler kein Ruhm, die Taube besiegt zu haben. Deshalb, um Gottes Liebe und deiner eigenen Ehre willen, habe Erbarmen mit mir!«
Der Gelehrte, welcher in harter Seele die empfangene Beschimpfung erwog und nun die Witwe weinen und flehen sah, fühlte zu gleicher Zeit Lust und Leid im Herzen: Lust über die Rache, die er mehr als alles andere begehrt hatte, und Leid, weil ihn seine Menschlichkeit mit der Unglücklichen mitfühlen ließ. Da jedoch die Menschlichkeit nicht vermochte, sein grausames Begehren zu besiegen, antwortete er: »Madonna Helena, wenn meine Bitten - die ich freilich weder so mit Tränen anzufeuchten noch so zu verzuckern wußte, wie du jetzt die deinen - mir jene Nacht, als ich in deinem mit Schnee gefüllten Hofe fast vor Kälte starb, wenigstens dazu verholfen hätten, daß du mich ein wenig unter Dach und Fach hättest treten lassen, so wäre es mir leicht, dein Flehen zu erhören. Ist dir aber jetzt um soviel mehr als in früherer Zeit an deiner Ehre gelegen und ist es dir so entsetzlich, dort oben nackt zu stehen, so wende dein Flehen an den, in dessen Armen nackt zu weilen dir in jener Nacht, deren du dich selbst wohl erinnerst, nicht schwer fiel, indes du mich mit klappernden Zähnen in deinem Hofe umhergehen und den Schnee festtreten hörtest. Von ihm laß dir helfen, von ihm dir deine Kleider reichen und die Leiter, auf der du heruntersteigen kannst, anlegen; in ihm suche das Zartgefühl deiner Ehre zu wecken, für den du dich nicht gescheut hast, es jetzt wie tausend andere Male vorher preiszugeben. Warum rufst du ihn nicht herbei, daß er dir zu Hilfe komme? Wem käme dies mehr zu als ihm? Du bist ja die Seine, und was auf der Welt soll er hüten, wem helfen, wenn er dir nicht hilft? Rufe ihn, Törin, und versuch es, ob die Liebe, die du für ihn hegst, ob seine und deine eigene Klugheit dich vor meiner Torheit erretten können. Du fragtest ihn damals scherzend, ob ihm meine Torheit oder deine Liebe zu ihm größer erscheine. Tue aber jetzt nicht freigebig mit dem, was ich nicht mehr begehre und was du, wenn ich es begehrte, mir nicht verweigern könntest. Spare deinem Buhlen die Nächte auf, wenn es geschehen sollte, daß du lebend von hier fortkommst. Sie seien dein und sein. Ich hatte an einer einzigen genug, und einmal verhöhnt worden zu sein, möge mir genügen. Noch übst du die alte List in deiner Rede; du strebst, mich lobend, meine Großmut zu gewinnen, und nennst mich ehrenwert und einen Edelmann und hoffst in der Stille, daß ich aus Großmut dich für deine Bosheit zu strafen abstehe. Aber deine Schmeicheleien sollen mir jetzt die Augen des Verstandes nicht ebenso umnebeln wie einst deine treulosen Versprechungen. Ich habe mich selbst erkannt, und solange ich auch in Paris verweilte, habe ich nicht soviel über mich selbst gelernt, als du in einer einzigen Nacht mich durch dein Betragen hast erkennen lassen. Doch gesetzt auch, ich wäre großmütig, so gehörst du nicht zu denen, an welchen Großmut zu üben ist. Das Ende der Buße für solche wilden Tiere wie du und das Ende der Rache an ihnen sollte nur der Tod sein. Menschen gegenüber genügt, was du sagtest.
Drum, bin ich auch kein Adler, so scheinst du mir keine Taube, sondern eine giftige Schlange, die ich als uralter Feind mit allem Haß und aller Gewalt zu verfolgen gedenke, obschon alles, was ich gegen dich tue, nicht eigentlich Rache, sondern vielmehr nur Züchtigung ist; denn die Rache übersteigt notwendig die Beleidigung, und die Züchtigung wird sie noch nicht einmal erreichen. Wollte ich mich rächen, so würde, wenn ich dabei den Zustand erwäge, in den du meine Seele versetztest, dein Leben, auch wenn ich es dir rauben wollte, mir nicht genügen und ebensowenig das von hundert ändern deinesgleichen; ich tötete ja immer nur ein verächtliches, schlechtes und schuldiges Weiblein. Was, zum Henker, bist du denn, wenn man das bißchen Gesicht wegdenkt, das wenige Jahre mit Runzeln anfüllen und verderben werden? Was bist du mehr als jede andere jämmerliche Magd? Und doch lag es nicht an dir, daß du nicht einen Ehrenmann, wie du mich erst eben nanntest, zum Tode führtest, dessen Leib an einem einzigen Tage der Welt mehr nützen kann, als Hunderttausende deinsgleichen vermögen, solange die Welt stehen wird. Ich will dir also durch diese Züchtigung, die du ausstehst, zeigen, was es heißt, Männer zu verhöhnen, die einige Einsicht besitzen, und
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