Das Dekameron
Morgen zu ihm und sagte: »Herr, da ihr Euch nun wieder wohlfühlt, ist es auch Zeit, das Krankenzimmer zu verlassen.« Dann nahm er ihn bei der Hand, führte ihn in das vorbereitete Gemach, wo er ihn den Seinigen überließ, um inzwischen zu sehen, daß das Gastmahl recht glänzend würde.
Der Abt erfreute sich eine Weile mit den Seinigen und erzählte ihnen, wie seine bisherige Lebensweise beschaffen gewesen sei, wogegen sie ihm versicherten, daß sie von Ghino auf das herrlichste bewirtet worden seien. Als jedoch die Essensstunde erschien, wurden der Abt und alle übrigen der Ordnung nach mit herrlichen Speisen und trefflichen Weinen bedient, immer noch, ohne daß Ghino sich dem Abt zu erkennen gegeben hätte.
Nachdem dieser indes noch mehrere Tage auf diese Art im Schlosse verweilt hatte, ließ Ghino in einem Saale alles Gepäck des Abtes zusammenbringen und in dem Hofe darunter seine sämtlichen Pferde bis zum elendsten Klepper aufstellen. Dann trat er zum Abt und fragte ihn, wie er sich befinde und ob er sich für stark genug halte auszureiten. Der Abt erwiderte ihm, daß er stark genug sei und seinen Magen wieder ganz hergestellt fühle, so daß er sich völlig wohl befände, wenn er nur aus Ghinos Händen wäre. Jetzt führte Ghino den Abt in den Saal, wo sein ganzes Gepäck lag und seine ganze Dienerschaft versammelt war, und indem er ihn an ein Fenster treten ließ, von wo er alle seine Rosse übersehen konnte, sprach er: »Mein Herr Abt, Ihr müßt wissen, daß Ghino di Tacco, der ich selbst bin, nur als ein armer und aus seiner Heimat verbannter Edelmann, der zahlreiche und mächtige Feinde hat, nicht aber durch innere Bösartigkeit dahin gekommen ist, ein Straßenräuber und Feind des römischen Hofes zu werden, um sein Leben und seinen Adel verteidigen zu können. Doch weil Ihr mir ein ehrenwerter Herr zu sein scheint, so denke ich, nachdem ich Euch von Eurem Magenübel geheilt habe, Euch nicht zu behandeln, wie ich einen ändern behandelt hätte, dessen Sachen ich, wenn er in meine Hände gefallen wäre wie Ihr, nach Belieben genommen hätte. Statt dessen denke ich, daß Ihr, meine Lage berücksichtigend, mir den Teil Eurer Sachen zubilligen werdet, den Ihr selber wollt. Sie alle, ohne Ausnahme, stehen hier vor Euren Augen, und Eure Rosse könnt Ihr von diesem Fenster aus im Hof überblicken. Nun nehmt einen Teil oder das Ganze, wie es Euch gefällt, und von Stund an steht es bei Euch, zu gehen oder zu bleiben.«
Der Abt verwunderte sich nicht wenig, von einem Straßenräuber so hochherzige Worte zu hören. Diese gefielen ihm so sehr, daß nicht nur Zorn und Unwille augenblicklich verschwanden, sondern sich in Wohlwollen verwandelten, und daß er, von Herzen Ghinos Freund geworden, ihn umarmte und ausrief: »Ich schwöre bei Gott, daß ich, um die Freundschaft eines Mannes zu gewinnen, wie du meiner Meinung nach einer bist, gern ein viel größeres Unrecht ertrüge als das, welches ich bis jetzt von dir zu erleiden glaubte. Verwünscht sei das Schicksal, das dich zu einem so verdammenswerten Gewerbe zwingt.« Hierauf ließ er von seinem vielen Gepäck nur das wenigste und notwendigste auswählen, desgleichen von seinen Rossen, übergab ihm alles andere und kehrte nach Rom zurück.
Der Papst hatte von der Gefangenschaft des Abtes bereits erfahren, und wiewohl sie ihn sehr geschmerzt hatte, fragte er ihn doch, als er ihn sah, wie ihm die Bäder bekommen wären. Lächelnd entgegnete der Abt hierauf: »Heiliger Vater, ich fand näher, als jene Bäder sind, einen trefflichen Arzt, der mich vollständig wiederhergestellt hat.« Und nun erzählte er ihm, wie das geschehen war, worüber der Papst lachte. Der Abt aber setzte das Gespräch fort und erbat sich aus seiner adeligen Gesinnung heraus vom Papst eine Gnade. Dieser glaubte, daß er etwas anderes erbitten würde, und erbot sich bereitwillig, das Verlangte zu tun. Nun sprach der Abt: »Heiliger Vater, was ich von Euch zu erbitten gedenke, ist, daß Ihr dem Ghino di Tacco, meinem Arzt, Eure Gnade wieder verleiht; denn unter den tapferen und achtbaren Männern^ die ich kennengelernt habe, ist er gewiß einer der ausgezeichnetsten, und das Übel, das er tut, erachtete ich mehr für eine Schuld des Geschicks als für die seine. Ändert Ihr dies aber dadurch, daß Ihr ihm verleiht, wovon er standesgemäß leben kann, so zweifle ich keineswegs, daß Ihr binnen kurzem ebenso über ihn denken werdet wie ich.«
Als der Papst, der selbst eine große Seele
Weitere Kostenlose Bücher