Das Dekameron
Herr Ruggieri antwortete ihm mit freier Stirn: »Mein Gebieter, darum verglich ich es mit Euch, weil Ihr schenkt, wo es sich nicht ziemt, und nicht schenfi, wo es am Platze wäre, so wie das Maultier nicht stallte, wo der Ort dafür war, sondern dort, wo es wenig angebracht war.«
Nun sprach der König: »Herr Ruggieri, daß ich Euch nicht beschenkt habe wie so viele andere, die mit Euch verglichen nichts wert sind, geschah nicht deshalb, weil ich Euch nicht für einen gar wackeren Ritter, der jedes Geschenkes wert wäre, erkannt hätte. Euer schlechtes Glück, das mir nicht gestattet hat, Euch gebührend zu beschenken, trägt die Schuld daran, nicht ich. Und daß ich die Wahrheit sage, will ich Euch sogleich handgreiflich beweisen.« »Herr«, entgegnete ihm Ruggieri, »ich härme mich nicht darüber, keine Gabe von Euch empfangen zu haben, weil ich dergleichen nicht begehrt habe, um mich dadurch zu bereichern, sondern nur darüber, daß Ihr mir auf keine Art ein Zeugnis für meine Verdienste gegeben habt. Nichtsdestoweniger halte ich Eure Entschuldigung für gut und ehrenhaft und bin bereit zu sehen, was Euch beliebt, wiewohl ich Euch auch ohne Zeugnis glaube.«
Nun führte ihn der König in einen großen Saal, wo, wie er vorher angeordnet hatte, zwei große verschlossene Truhen standen, und sagte in Gegenwart vieler Herren zu ihm: »Herr Ruggieri, in einer dieser Truhen sind meine Krone, mein königliches Zepter und der Reichsapfel, sowie viel schöne goldene Gürtel, Schlösser, Ringe und kostbare Edelsteine, soviel ich ihrer besitze. Die andere ist mit Erde gefüllt. Wählt nun eine davon, und die Ihr nehmt, die sei Euer. Ihr werdet dann sehen, wer gegen Euer Verdienst ungerecht gewesen ist, ich oder Euer Glück.«
Als Herr Ruggieri sah, daß es dem König so gefiel, wählte er eine der Truhen. Der König befahl, sie zu öffnen, und man fand, daß es die mit Erde gefüllte war. Lächelnd sagte der König nun: »Jetzt, Herr Ruggieri, könnt Ihr sehen, daß es wahr ist, was ich von Eurem Glück sagte. Doch fürwahr, Eure Trefflichkeit verdient es, daß ich mich seiner Macht widersetze. Ich weiß, daß Ihr nicht willens seid, ein Spanier zu werden, und darum will ich Euch hier weder Schlösser noch Städte schenken, sondern jene Truhe, die das Glück Euch entzog. Diese soll, ihm zum Trotz, Euer sein, damit Ihr sie in Euer Vaterland mitnehmen und Euch mit dem Zeugnis meiner Gaben gebührend vor Euren Landsleuten Eurer Verdienste rühmen könnt.«
Herr Ruggieri nahm die Truhe, sagte dem König den Dank, der einem solchen Geschenk entsprach, und kehrte dann fröhlich mit ihr nach Toskana heim.
Zweite Geschichte
Ghino di Tacco nimmt den Abt von Clugny gefangen, heilt ihn von seinem Magenübel und läßt ihn dann frei. Dieser kehrt an den römischen Hof zurück, versöhnt jenen mit Papst Bonifaz und macht ihn zum Hospitaliterritter.
Nachdem die Großmut des Königs Alfons gegen den florentinischen Ritter gerühmt worden war, befahl der König, dem die Geschichte sehr gefallen hatte, der Elisa fortzufahren. Diese begann sogleich:
Zarte Mädchen, daß ein König großmütig gewesen ist und seine Großmut dem bewiesen hat, der ihm diente, kann nur ein großes und preiswürdiges Werk genannt werden. Was aber sollen wir sagen, wenn uns erzählt werden wird, wie ein Priester wunderbare Großmut gegen einen Mann geübt hat, den er, ohne darum von jemand getadelt zu werden, als seinen Feind hätte betrachten können? Nichts anderes fürwahr, als daß die Handlung des Königs tugendhaft, die des Priesters aber bewunderungswürdig war, um so mehr, als alle diese Pfaffen viel geiziger als die Weiber und aller Freigebigkeit geschworene Todfeinde sind. Und wenngleich jeder Mensch von Natur aus nach Rache für empfangene Beleidigung verlangt, so lassen sich doch die Priester, wie man sieht, obgleich sie beständig Langmut predigen und die Vergebung von Beleidigungen hoch anpreisen, von noch glühenderer Rachsucht hinreißen als andere Menschen. Dies aber, nämlich wie großmütig ein Priester sich zeigte, wird euch aus der folgenden Geschichte offenkundig werden.
Ghino di Tacco, ein Mann, den seine Grausamkeit und Rachsucht berüchtigt genug gemacht haben, war aus Siena vertrieben worden, wiegelte, als ein Feind der Grafen von Santo Fiore, Radicofani gegen den Römischen Stuhl auf, setzte sich hier fest und ließ von seinem Raubgesindel jeden auffangen und berauben, der durch die umliegende Gegend
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