Das Dekameron
sprechend, schied sie, ohne wiederzukehren.
Als Mithridanes diese Worte der Alten vernahm, erachtete er das, was er über Nathan gehört, für eine Beeinträchtigung seines Ruhmes und ward von wütendem Zorn ergriffen, so daß er ausrief: »Ich Unglücklicher, wann werde ich die Freigebigkeit Nathans in großen Dingen erreichen, geschweige denn sie übertreffen, wenn ich ihr selbst in den kleinsten nicht nahekommen kann! Fürwahr, ich bemühe mich umsonst, wenn ich ihn nicht aus der Welt schaffe, und das will ich, da das Alter ihn nicht wegräumt, ohne Säumen mit meinen eigenen Händen verrichten.«
Mit diesem Ungestüm sprang er auf, und ohne jemandem seinen Entschluß mitzuteilen, stieg er mit geringer Begleitung zu Pferde und gelangte am dritten Tage dahin, wo Nathan wohnte. Nachdem er hier seinen Begleitern befohlen hatte, daß sie tun sollten, als gehörten sie nicht zu ihm und kennten ihn gar nicht, und daß sie selbst für ihr Unterkommen sorgen sollten, bis sie weitere Nachricht von ihm erhielten, langte er gegen Abend dort an. Und wie er nun allein war, traf er, nicht weit von dem schönen Palast, auf Nathan, welcher ganz allein und ohne jeden Aufwand in der Kleidung dort lustwandelte. Er kannte ihn nicht und fragte ihn daher, ob er ihm sagen könne, wo Nathan weile. Freundlich antwortete ihm dieser: »Mein Sohn, niemand ist in dieser Gegend, der dir das besser zeigen könnte als ich, und darum will ich dir den Weg weisen, sobald es dir gefällt.« Der Jüngling erwiderte, daß ihm dies zwar sehr erwünscht wäre, daß er aber, wenn es möglich wäre, von Nathan weder gesehen noch erkannt sein möchte. »Auch dies«, erwiderte ihm Nathan, »will ich einrichten, da es dir so gefällt.«
Nachdem nun Mithridanes vom Pferde gestiegen war, begab er sich mit Nathan, der ihn bald genug in angenehme Gespräche verflocht, zu dessen schönem Palaste. Hier ließ Nathan durch einen seiner Diener das Pferd des Jünglings abnehmen und befahl diesem, indem er ihm leise ins Ohr flüsterte, daß er sogleich alle Hausbewohner anweisen solle, dem Jüngling nicht zu sagen, daß er selbst Nathan sei; und so geschah es denn auch. Sobald sie im Palast waren, wies Nathan dem Mithridanes ein prächtiges Zimmer an, in welchem niemand anders ihn sah als die, welche er zu seiner Bedienung bestimmt hatte, und während er ihn auf das herrlichste bewirten ließ, leistete er selbst ihm Gesellschaft. Obwohl nun Mithridanes ihn bei längerem Umgang wie einen Vater zu verehren anfing, fragte er ihn doch, wer er sei. »Ich bin«, antwortete Nathan, »ein geringer Diener meines Herrn, von Kindheit an mit ihm aufgewachsen und mit ihm alt geworden, und nie hat er mich, wie du siehst, zu etwas anderm erhoben. Obwohl jeder sonst ihn lobt, weiß ich ihn darum nicht sonderlich zu preisen.«
Diese Worte gaben dem Mithridanes einige Hoffnung, nun mit besserem Rat und größerer Sicherheit seinen schnöden Vorsatz zum Erfolg zu führen. Höflich fragte Nathan auch ihn, wer er sei und welches Geschäft ihn hierher führe, indem er ihm zugleich seinen Rat und seine Hilfe in allem, was er für ihn zu tun vermöchte, anbot. Mithridanes zögerte etwas mit seiner Antwort. Endlich aber beschloß er, sich ihm anzuvertrauen, und als er ihn mit weitschweifigen Worten erst um seine Verschwiegenheit und dann um seinen Rat und seine Hilfe gebeten hatte, entdeckte er ihm vollständig, wer er sei und warum und aus welchem Antriebe er hierher gekommen war.
Als Nathan diese Erzählung und das grausame Vorhaben des Mithridanes hörte, entsetzte er sich zwar innerlich, antwortete ihm aber ohne langes Zögern mit starkem Mut und festem Antlitz: »Mithridanes, dein Vater war ein edler Mann, und du willst nicht aus seiner Art schlagen, da du ein so hohes Unternehmen beschlossen hast wie das, gegen jedermann freigebig zu sein. Daher lobe ich denn auch den Neid, den du gegen Nathans Tugend empfindest; denn wäre dieser Neid häufig, so wäre diese elende Welt bald besser daran. Dein Vorhaben, das du mir entdeckt hast, soll ohne Zweifel verborgen bleiben, doch kann ich dir dazu mehr guten Rat denn Hilfe leihen, und dieser Rat ist folgender: Du kannst von hier aus, vielleicht eine halbe Meile entfernt, ein kleines Gehölz erblicken, nach dem Nathan fast jeden Morgen ganz allein geht und lange genug dort lustwandelt. Hier wird es dir leicht sein, ihn anzutreffen und ihm nach deinem Wunsche zu tun. Hast du ihn dann getötet, so nimm, damit du ohne Hindernis in deine Heimat
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